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Ausgrenzung entgegentreten, Verfolgte rehabilitieren

Gedenkfeier für die Opfer des Nationalsozialismus (c) LSVD / Caro KadatzRede von LSVD-Bundesvorstand Günter Dworek zur Gedenkfeier anlässlich des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus am 27.01.2015 am Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen in Berlin

70 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz ehren wir hier, am Denkmal für die verfolgten Homosexuellen, alle Opfer des Nationalsozialismus. Wir gedenken der Opfer des Holocausts an den europäischen Juden, der Opfer des Völkermordes an Sinti und Roma und wir gedenken der Menschen, die als Behinderte, als politische Gegnerinnen und Gegner, als Homosexuelle und aus vielen anderen Gründen verfolgt, eingesperrt, gefoltert und ermordet wurden.

Das ist ein Ort zu Ehren der Opfer. Dennoch ich will heute auch über einen Täter sprechen, einen der Massenmörder: Rudolf Höß. Er war 1940 bis 1943 Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz. 1946 verfasste Höß in der Untersuchungshaft in Krakau eine Autobiografie. Er schrieb darin auch über homosexuelle Häftlinge in Auschwitz, in Sachsenhausen und in Dachau, wo seine SS-Karriere ins Laufen kam. Höß schrieb:

Schon in Dachau waren die Homosexuellen … für das Lager ein Problem geworden. … Die Seuche griff um sich. – Auf meinen Vorschlag wurden nun alle Homosexuellen zusammengelegt. Sie bekamen einen Stubenältesten, der mit ihnen umzugehen verstand. Und sie wurden gesondert von den anderen Häftlingen zur Arbeit eingesetzt. So zogen sie lange Zeit die Straßenwalze. … Während die zur Abkehr Willigen … auch die härteste Arbeit durchstanden, gingen die anderen langsam, je nach Konstitution, physisch zugrunde. Da sie von ihrem Laster nicht lassen konnten oder nicht wollten, wußten sie, daß sie nicht mehr frei würden.“

Sie wussten, dass sie nicht mehr frei würden. Ja, wahrscheinlich wusste das Friedrich Brüchmann, der 1942 im KZ Sachsenhausen kastriert wurde und zwei Wochen später der großen Mordaktion an Homosexuellen im Klinkerwerk zum Opfer fiel. Oder der 27jährige Arbeiter Emil Sliwiok aus Hindenburg in Oberschlesien, der 1941 mit dem Vermerk „§. 175. R.D.“ (für Reichsdeutscher) in Auschwitz registriert wurde und nach 104 Tagen im Lager starb.

Deren elendiges Sterben hat Rudolf Höß einen Dreck gekümmert. Aber er machte sich – wie sein Zitat zeigt – große Sorgen um die öffentliche Moral in seinem Lager. Er hielt Homosexualität für eine ansteckende Seuche, die man eindämmen müsse.

Kommt uns das nicht irgendwie bekannt vor? Ein ganz scharfer Schnitt, Europa, 70 Jahre später: In Russland herrscht ein brutales Zensurgesetz, das positives oder auch nur neutrales Reden über Lesben und Schwule mit Strafe belegt, angeblich damit sich die Jugend nicht ansteckt. Und das wünschen sich offenbar „Pediga“-Marschierer auch für Deutschland, wenn sie skandieren „Putin hilf“. Christliche Fundamentalisten und Rechtspopulisten kämpfen Seit an Seit dafür, dass Informationen über lesbisches und schwules Leben in der Schule tabuisiert werden. Sie laufen mit Hassparolen Amok gegen eine Pädagogik der Vielfalt. In Niedersachsen verkündet die schulpolitische Sprecherin einer Landtagsfraktion, „auf keinen Fall”, dürfe man „Schwule und Lesben in den Klassen allein gegenüber den Kindern auftreten” lassen.

Ich will nichts vergleichen und schon gar nichts gleichsetzen. Aber ich meine: Solche Wünsche nach gesellschaftlicher Quarantäne, nach Ausgrenzung und Sonderbehandlung, solche Ideologien der AbwerGünter Dworek, LSVD-Bundesvorstand (c) LSVD / Caro Kadatztung atmen einen zutiefst undemokratischen Geist.

Natürlich muss verantwortliche Politik Sorgen ernst nehmen, aber doch nicht homophoben und rassistischen Vorurteilen nachlaufen.

Es geht um ganz andere Sorgen, die man wirklich ernst nehmen muss. Und da stehen wir auf der Seite der Flüchtlinge, die sich in Dresden kaum noch auf die Straße trauen. Da stehen wir auf der Seite von Muslimen, wenn diese unter Generalverdacht gestellt werden. Und wir verlangen von der Gesellschaft, dass sie sich nicht auf die Seite selbst ernannter „besorgter Eltern“ schlägt, die nur ihr hermetisch-vordemokratisches Weltbild fortpflanzen wollen, sondern lesbischen und schwulen Jugendlichen zur Seite steht, wenn diese im Elternhaus oder in der Schule gemobbt werden.

Eine demokratische Gesellschaft muss gleiche Rechte, gleiche Teilhabe garantieren und ebenso die Freiheit, jederzeit und an jedem Ort verschieden sein zu können.

Und noch etwas zeichnet eine demokratische Gesellschaft aus. Sie ist in der Lage, ihre Vergangenheit kritisch zu reflektieren.

2015 gilt es nicht neben 70 Jahre Befreiung noch ein weiteres rundes Datum zu bedenken: Vor 80 Jahren, 1935, haben die Nationalsozialisten die totale Kriminalisierung von Homosexualität verordnet und § 175 des Strafgesetzbuches massiv verschärft.

Und diese Geschichte war 1945 noch nicht vorbei. Das Morden war zu Ende, aber die staatliche Verfolgung ging weiter. Und diese Geschichte ist bis heute nicht vorbei, solange die Opfer homophober Strafverfolgung nach 1945 weder rehabilitiert noch entschädigt sind.

Dass der Nazi-§175 in der Bundesrepublik Deutschland 20 Jahre lange unverändert in Kraft blieb, dass auch im demokratischen Staat Menschen im Gefängnis landeten, nur weil sie anders liebten, das ist ein monströser Schandfleck unseres Rechtsstaates.

Die antihomosexuellen Strafbestimmungen waren von Anfang an grundgesetzwidrig. Die auf verfassungswidrigen Grundlagen ergangenen Urteile können aufgehoben werden. Und diese Urteile müssen aufgehoben werden, und zwar schnell, damit Verfolgten noch zu ihren Lebzeiten Gerechtigkeit widerfährt.

Es ist keine Schwächung des Rechtsstaats, wenn er seine Fehler korrigiert, ganz im Gegenteil. Es kostet ihn nichts, es kostet nur Überwindung. In dieser Frage brauchen wir tatsächlich endlich einen Schlussstrich.

 

 Fotos: Caro Kadatz



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