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Spätes Coming-out

 Studie zeigt Notwendigkeit der Familienarbeit

Ilka Borchardt - Foto: Caro KadatzWenn vom Coming-out die Rede ist, denken die meisten an Probleme von Jugendlichen, vielleicht auch noch an die Schule oder die Eltern. Aber viele Menschen haben nach der Familienphase ein Coming-out oder einfach in späteren Jahren des Lebens. Wir sprechen in diesem Zusammenhang vom „Späten Coming-out“. Das Interesse an dem Phänomen ist groß, es gab aber bislang wenig systematische Untersuchungen dazu. Der LSVD konnte im Rahmen des Projekts „Homosexualität und Familien“ zu diesem Thema eine Studie in Auftrag geben. Das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend als Modellprojekt geförderte Projekt, das von 2011–2014 bundesweit läuft, hat Prof. Dr. Melanie Steffens und Dr. Janine Dieckmann (Friedrich-Schiller-Universität Jena) mit der Durchführung der Studie beauftragt. Schwerpunkt sind die Umgangsweisen von Angehörigen mit dem Späten Coming-out eines homosexuellen Familienmitglieds.

Wie gehen Partnerinnen und Partner, Eltern und Schwiegereltern, Geschwister und Kinder mit dem Coming-out eines erwachsenen Angehörigen um? Insgesamt 186 Personen antworteten dazu ausführlich. Schon dieses relativ kleine Sample illustriert die Bandbreite der Reaktionen und Umgangsweisen und ermöglicht einen Vergleich zwischen den Angehörigengruppen, auch wenn damit kein Anspruch auf Repräsentativität erhoben werden kann. Dafür müsste die Grundgesamtheit der von einem Späten Coming-out betroffenen Personen bekannt sein.

Mein Weltbild wurde auf den Kopf gestellt“
Auffällig an der Zusammensetzung der Befragten ist die geringere Beteiligung von Männern. Dabei war die Gruppe der Väter (6) besonders klein und wird in der Studie daher nicht gesondert erfasst. Auch die Stichprobe der Partner (10) war klein, sie geht aber, wo es keine Unterschiede zu Partnerinnen gibt, in die Auswertung ein. An der Studie beteiligt haben sich am meisten Kinder von Spätgeouteten (56), gefolgt von Partnerinnen und Partnern (51), Geschwistern (49) und Eltern (30).
Im Vergleich zu den anderen Angehörigen war für Partnerinnen und Partner das Späte Coming-out am schwierigsten. So stimmten 84% der befragten Partnerinnen und Partner der Aussage „Mir wurde der Boden unter den Füßen weggerissen“ zu und 51% der Aussage „Mein Weltbild wurde auf den Kopf gestellt“. Bei den Kindern gab es dazu nur 25% Zustimmung, bei den Eltern
17% und bei den Geschwistern nur 2%.

Hinsichtlich der ersten Reaktionen und im heutigen Umgang gibt es große Unterschiede zwischen den verschiedenen Angehörigengruppen, aber auch zwischen den Geschlechtern. Nur 60% der Partnerinnen und Partner stellen für sich heute einen passenden Umgang fest, bei den Geschwistern sind es 91% der Schwestern (Brüder 73%) und bei Kindern 84% der Töchter (Söhne 77%). Partnerinnen und Partnern fällt also bis heute der Umgang schwerer als allen anderen. Ihre besondere Situation wird auch daran deutlich, dass sie ein größeres Informationsdefizit empfunden und sich auf verschiedene Weise über Homosexualität informiert haben. Partnerinnen und Partner haben auch am häufigsten Selbsthilfegruppen oder professionelle Hilfe (psychologische Beratung, Therapie) gesucht. Auffallend ist, dass die Beratungen und die Therapie zwar als hilfreich empfunden wurden, angemessene Unterstützung jedoch nicht leicht zu finden war.

Die Studie bietet einen Einblick in die Probleme und typischen Umgangsweisen mit einem Späten Coming-out. Diese Erfahrungen aus der Perspektive von Angehörigen sind vielen Fachleuten aus der Sozialen Arbeit noch fremd. Es mangelt an vielen Stellen an Regenbogenkompetenz. Eine systematische Sensibilisierung und Qualifizierung von Fachleuten der Sozialen Arbeit für alle Aspekte eines (Späten) Coming-out und für die Anliegen von Angehörigen fehlen bislang.

Ilka Borchardt, Projektleitung „Homosexualität und Familien“



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