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Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt im Thüringer Bildungswesen verankern

Stellungnahme des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD) Thüringen zum Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, LT-Drs. 5/6835 vom 06.11.2013

Niemand darf wegen seiner Herkunft, seiner Abstammung, seiner ethnischen Zugehörigkeit, seiner sozialen Stellung, seiner Sprache, seiner politischen, weltanschaulichen oder religiösen Überzeugung, seines Geschlechts oder seiner sexuellen Orientierung bevorzugt oder benachteiligt werden.“ — Art. 2, Abs. 3 der Thüringer Landesverfassung ist nicht nur ein großartiges Versprechen für alle Thüringerinnen und Thüringer, sondern auch eine Verpflichtung für die Politikerinnen und Politiker unseres Landes. Gleiche Rechte, Vielfalt und Respekt für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle (LSBTI) sind folglich in Thüringen ausdrücklich verfassungsrechtlich geboten. Diesem Schutz vor Diskriminierung steht jedoch eine Lebenswirklichkeit entgegen, die trotz aller gesellschaftlichen Fortschritte noch zu oft von Ablehnung und Ausgrenzung geprägt ist. Dies gilt auch für den Bereich Schule.

Diskriminierungserfahrungen von LSBTI

Die Europäische Grundrechteagentur (European Union Agency For Fundamental Rights 2013) hat für eine Studie 93.000 LSBTI in ganz Europa nach ihren Diskriminierungserfahrungen befragt und ist zu erschreckenden Ergebnissen gekommen. Danach gab beinahe jede/r Zweite der Befragten aus Deutschland an, in den letzten zwölf Monaten aufgrund ihrer sexuellen Identität diskriminiert bzw. belästigt worden zu sein. Ausdrücklich wurde auch nach ihren Erfahrungen in der Schule gefragt. 90% der Befragten aus Deutschland gaben an, in der Schule negative Kommentare oder abwertendes Verhalten gegen ein/e Mitschüler/in beobachtet zu haben, die für lsbti gehalten wurde. Geht man davon aus, dass 5–10% der Schüler/innen lesbisch oder schwul sind, dann betrifft das in allen Klassen zumindest ein/e Schülerin. Nicht überraschend ist dann auch, dass sich die wenigstens an der Schule geoutet haben. Negative Erfahrungen im schulischen Umfeld sind für LSBTI offensichtlich an der Tagesordnung. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Schule für viele LSBTI ein Ort ist, an dem sie sich nicht wohlfühlen und keine Unterstützung erfahren (Antidiskriminierungsstelle 2013: 112).

Zu diesem Fazit kommt auch Stephan Timmermanns (2003: 74), der die Situation von LSBT-Jugendlichen folgendermaßen zusammengefasst: „Die wichtigsten Lebensfelder Familie, Schule, Peer Group erweisen sich zugleich als Bastionen der Homophobie“ und Transphobie, wie hinzugefügt werden muss (auch Haupt 2006; Hellwig 2006; Krell 2013: 10). Laut Thomas Hofsäss (1999: 83) liegt bei nicht-heterosexuellen Jugendlichen ein mindestens viermal höhere Suizidgefahr vor als bei ihren heterosexuellen Altersgenoss/innen (auch Krell 2013: 10).

Kinder, die in Regenbogenfamilien aufwachsen, müssen sich ebenfalls mit Beschimpfungen und verletzenden Kommentaren auseinandersetzen (Rupp 2009, Streib-Brzic/ Quadflieg 2011). Auch wenn Mitschüler/innen sich nicht geschlechtsrollenkonform verhalten geraten sie ins Visier, erleben Mobbing bzw. werden der Lächerlichkeit preisgegeben (Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2013: 113). Das betrifft nicht nur transgeschlechtliche Menschen, sondern alle Schüler/innen, die bestimmte Normen von Männlichkeit und Weiblichkeit nicht erfüllen wollen bzw. können.

Einstellungen von Kindern und Jugendlichen

Stephan Timmermanns (2003: 60) spricht nach einer Auswertung vorliegender Studien von einer „stark negative[n] Einstellung gegenüber Homosexualität“ unter Jugendlichen. Eine von ihm durchgeführte Erhebung unter Schüler/innen relativiert dieses Ergebnis hin zu einer Gleichzeitigkeit von sowohl ausgeglichenen Bilder bis hin zu „gravierende[n] Vorurteile[n] und Ängste[n] gegenüber Homosexuellen“ (ebd.: 121). Wenn, dann bleibt es jedoch oftmals bei einer allgemein behaupteten Toleranz, die bei direkten oder persönlichen Kontakt schnell in eine Ablehnung umschlägt (ebd.: 127). Eine repräsentative mündliche Befragung durch das Meinungsforschungsinstitut Iconkids & Youth ergab 2002 beispielsweise, dass unter den 669 teilnehmenden Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren 71% der Jungen und 51% der Mädchen Homosexualität für „nicht gut“ oder „überhaupt nicht gut“ befinden. Viele verwenden „schwul“ oder „lesbisch“ folglich auch als Schimpfwort.

Zu diesem Ergebnis kommt auch Ulrich Klocke (2012). In seiner Umfrage gaben 62% der befragten Berliner Schüler/innen aus der Klassenstufe 6 an in den letzten zwölf Monaten „schwul“ oder „Schwuchtel“ als Schimpfwort verwendet zu haben, immer noch 40% haben „Lesbe“ in diffamierender Absicht benutzt. Für die Klassenstufe 9/10 sind es immer noch 54% bzw. 22%.

Stellen die Befunde einerseits heraus, dass es unter Kinder und Jugendlichen stark abwertende Einstellungen zu LSBTI gibt, wünschen sie sich andererseits auch mehr Aufklärung im Hinblick auf das Thema Homosexualität (Timmermanns 2003, S. 17). Ursache für die Abwertung von LSBTI sind zum einen Vorurteile und Nichtwissen, zum anderen aber auch fehlender persönlicher Kontakt zu LSBTI. Durch die Verankerung von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt im Thüringer Bildungswesen könnte Stereotypen und fehlendem Wissen mit Aufklärung begegnet werden. In einem offenen und wertschätzenden Schulklima würden sich auch mehr LSBTI outen können. Beides würde sich folglich verstärken. Ein selbstverständlicherer Umgang mit LSBTI in Unterricht und Schule würde dazu führen, dass mehr Kinder und Jugendliche LSBTI zu ihrem Freundes- und Bekanntenkreis zählen und so wiederum mehr über die Lebenswirklichkeit und den Alltag erfahren.

LSBTI als Thema an Thüringer Schulen

Der Bildungsauftrag im Thüringer Schulgesetz sieht vor, dass die Kinder und Jugendlichen grundsätzlich lernen sollen, Beziehungen zu anderen Menschen nach Grundsätzen der Toleranz und Gleichberechtigung der Geschlechter zu gestalten. Dazu gehören selbstverständlich auch LSBTI-Menschen, für deren Akzeptanz bislang nur wenig bis kaum etwas getan wird.

Rechtliche Grundlage für die Sexualerziehung an Thüringer Schulen ist § 47 des Thüringer Schulgesetzes. Darin heißt es: „Durch die Sexualerziehung, die als Teil der Gesamterziehung zu den Aufgaben der Schule gehört, sollen die Schüler sich altersgemäß mit den biologischen, ethischen, religiösen, kulturellen und sozialen Tatsachen und Bezügen der Geschlechtlichkeit des Menschen vertraut machen. Die Sexualerziehung soll das Bewusstsein für eine persönliche Intimsphäre und für partnerschaftliches, gewaltfreies Verhalten in persönlichen Beziehungen entwickeln und fördern sowie die grundlegende Bedeutung von Partnerschaft, Ehe und Familie vermitteln. Bei der Sexualerziehung ist Zurückhaltung zu wahren sowie Offenheit und Toleranz gegenüber den verschiedenen Wertvorstellungen in diesem Bereich zu beachten; jede einseitige Beeinflussung ist zu vermeiden.“[1] Eine einseitige Beeinflussung zu vermeiden bedeutet gerade auch nicht nur von Heterosexualität zu sprechen und LSBTI-Lebensweisen zu verschweigen. Lediglich im Rahmen der Gesundheitserziehung soll schulische Sexualerziehung an thüringischen Schulen fächerübergreifend und über den Unterricht hinaus vermittelt werden. Eine Auswertung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (2004: 163) kommt zu folgenden Schluss: „Das in thüringischen Lehrplänen erkennbare Konzept von Sexualerziehung lässt sich nach wie vor als unzulänglich [sic] bezeichnen. (…) Hygieneaspekte, die Vorbeugung von Krankheiten sowie kontrolliertes, verantwortungsloses Handeln haben ein großes Gewicht gegenüber den emotionalen und identitätsstiftenden Seiten der Sexualität.“

Im Gegensatz zu Bundesländern wie Berlin, Brandenburg, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Schleswig-Holstein gibt es in Thüringen keine eigenständigen Rahmenrichtlinien zur Sexualerziehung, die Lehrkräften genauere Hinweise über mögliche Inhalte gibt. Ein Bekenntnis zur Gleichwertigkeit von homo- und heterosexuellen Partnerschaften, die Thematisierung von Geschlechterstereotypen sowie der Vielfalt an Familienformen findet sich nicht. Als mögliches Vorbild bietet sich neben Berlin[2] insbesondere das Saarland[3] an. Dort hat der LSVD im Verbund mit pro familia, der AIDS Hilfe Saar, der Arbeiterwohlfahrt des Saarlandes, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und dem Diakonischen Werk gefordert, die Sexualerziehung an Schulen den gesellschaftlichen Entwicklungen und der modernen Lebenswelt anzupassen. Die neuen Richtlinien von 2013 wurden einstimmig vom Kabinett der Landesregierung verabschiedet und ersetzen die Vorgaben aus dem Jahr 1990 und gelten nun als die fortschrittlichsten Unterrichtsvorgaben im Bundesgebiet. Bereits in der Präambel machen die neuen Richtlinien für Sexualerziehung deutlich, dass Respekt für Vielfalt zum Bildungsauftrag an saarländischen Schulen gehören. Hetero‑, Homo– und Bisexualität gelten als „gleichwertige Ausdrucksformen des menschlichen Empfindens und der sexuellen Identität”. Auch Trans– und Intersexualität sollen zukünftig im Unterricht behandelt werden. Die fächerübergreifende Sexualerziehung soll dazu beitragen, vorhandene Vorurteile abzubauen und eine selbstbestimmte Sexualität unter den Schülerinnen und Schülern zu fördern. Darüber hinaus sind alle Lehrkräfte explizit aufgerufen bei Mobbing und Diskriminierung zu intervenieren. (LSVD 2013) Flankiert werden diese mit der Bereitstellung von weitergehenden Informationen sowie Ansprechpersonen für die Umsetzung der Richtlinien.

Unsere Auswertung der Thüringer Lehrpläne ergab, dass einzig für den Biologieunterricht an Gymnasien der 8. Klasse ausdrücklich vorgesehen ist, dass auch über Homo- und Bisexualität gesprochen wird. Somit werden LSBTI-Personen auf ihre Sexualität reduziert. Die Rechte, die Diskriminierung und Lebensweisen von LSBT und Regenbogenfamilien werden nicht explizit als Unterrichtsthemen vorgeschlagen oder benannt. Die (rechtliche) Gleichstellung, Eingetragene Lebenspartnerschaft, die Geschichte der Homosexuellenverfolgung in Deutschland, der Alltag von LSBT – all das sind Fragestellungen, die Schülerinnen und Schüler auch in Fächern wie Ethik, Geschichte, Sozialkunde, Sozialwesen oder Deutsch behandeln könnten.

Es lässt sich daher zusammenfassen, dass LSBTI bislang so gut wie nie in den Thüringer Lehrplänen vorkommen und folglich davon auszugehen ist, dass deren Lebenslagen auch so gut wie nie im Unterricht behandelt werden. Durch fehlende Hinweise und Anmerkungen in den Lehrplänen werden Lehrkräfte entmutigt, LSBTI-Lebensweisen in ihrem Unterricht anzusprechen. In der Regel bleibt es ihnen selbst überlassen im Rahmen von Themen wie Partnerschaft, Liebe und Familie auf das Thema zu sprechen zu kommen.

LSBTI in Schulbüchern und Unterrichtsmaterialien 

Oftmals fehlen auch geeignete Unterrichtsmaterialien. Eine Auswertung von vorhandenen Schulbüchern zeigt, dass dort noch immer stereotype Darstellungen von Frauen und Männern, beispielsweise im Hinblick auf bestimmte Berufe zu finden sind. Frauen werden zudem häufiger im Kontext der Familie und seltener im beruflichen Kontext dargestellt. Eine durchgängig geschlechtergerechte Sprache ist in den untersuchten Schulbüchern nicht vorzufinden. In diesen Schulbüchern fehlen zudem weitgehend Darstellungen von nicht geschlechtskonformen Verhaltensweisen. Eine Darstellung bzw. Thematisierung von Trans*- und Inter*-Menschen sowie deren Lebensrealität kommt nicht vorkommt (Bittner 2012a, S. 88 ff.). Gleiches gilt für die Darstellung von Regenbogen- und Patchworkfamilien (Streib-Brzič/Quadflieg 2011). Darauf aufbauend kommen LSBTI-Menschen wenn überhaupt nur als „Abweichung von der Norm“ (Bittner 2012a, S. 93) und nicht als gleichwertige Alternative vor. In den von Bittner untersuchten Englischbüchern gibt es keine schwulen, lesbischen oder bisexuellen Menschen. Mit den Biologiebüchern ist es kaum besser: Immer wird die heterosexuelle Norm vermittelt, Homo– oder Bisexualität keineswegs als gleichwertig gezeigt. In den Geschichtsbüchern gibt es Erwähnungen von Bürgerrechtsbewegungen, Emanzipation und Diskriminierung – allerdings nie mit Bezug auf LSBTI. Ihr Fazit: „Die umfassende und kompetente Thematisierung von Gender und sexueller Identität im Unterricht kann durch Schulbücher nicht erreicht werden. Viel hängt vom Wissen, dem Engagement und den methodischen Kenntnissen der Lehrerinnen und Lehrer ab.“ (Bittner 2012b).

In Thüringen sind uns bislang auch keine Handreichungen oder zusätzliche Unterrichtsmaterialien zu LSBTI-Lebensweisen bekannt. Es gibt keine Informationen wie etwa Schulleitung und Lehrkräfte bei Mobbing eingreifen können. Verwiesen sei an dieser Stelle auf die Materialien des LSVD Berlin-Brandenburg, die von Lehrkräften an Berliner Schulen sehr gut nachgefragt und angenommen werden. Zu diesen Materialien gehören: „Mobbing an Grundschulen – Geschlechtsrollenverhalten und Regenbogenfamilien. Handreichung für Lehrkräfte und Informationen für Schüler und Schülerinnen“; „Mobbing an der Schule aufgrund der Sexuellen Identität. Informationen und Handlungsanregungen für Schulleitung, Lehrkräfte, Schulpersonal und für Schülerinnen und Schüler in je einer 4‑Seitigen Broschüre.“ sowie „90 Minuten für Sexuelle Vielfalt. Eine Handreichung für den Berliner Ethikunterricht mit 4 Modulen: Rollenspiele, Quiz, Häufig gestellte Fragen u.v.m.“[4]

Lehrkräfte und LSBTI

Allerdings müssen Lehramtsanwärterinnen und ‑anwärter, Lehrkräfte und Erzieherinnen und Erzieher in Aus- und Fortbildungen ausreichend vorbereitet werden, um selbstsicher das Thema aufzugreifen und beim Thema Mobbing konsequent einzugreifen. Insbesondere Vertrauenslehrerinnen und ‑lehrer müssen bei Coming-outs von Jugendlichen beratend zur Seite stehen können. Lehrkräfte müssen für die Themen sexuelle und geschlechtliche Vielfalt sensibilisiert werden. Timmermanns (2003: 34) kritisiert eine weder verpflichtende noch ausreichend institutionalisierte sexualpädagogische Ausbildung des Lehrpersonals und selbst bei einer Auseinandersetzung während des Studiums müssen Lebensweisen von Nicht-Heterosexuellen keineswegs zur Sprache kommen. Er verweist auch darauf, dass die Sexualpädagogik lange Zeit heteronormative Einstellungen vermittelt hat. Zum anderen befürchten Lehrerkräfte, durch die Vermittlung von LSBTI selbst „verdächtig“ zu werden, sich damit zu outen und auf ablehnende Reaktionen zu stoßen (Timmermanns 2003: 56ff.)

Darüber hinaus ist eine positive Einstellung gegenüber LSBTI unter den Lehrkräften keineswegs selbstverständlich. In der Studie von Klocke (2012) haben über ein Drittel der Befragten angegeben, dass ihre Lehrer/innen sich über Mädchen und Jungen lustig gemacht haben, die ihrer Meinung nach Männlich- bzw. Weiblichkeitsnormen nicht erfüllt haben. Statt die betroffenen Schüler/innen zu stärken und die Chance zu nutzen über Geschlechterstereotypen zu sprechen wird die Ausgrenzung verstärkt und der restlichen Klasse signalisiert, dass ihr Verhalten akzeptabel wäre. Ein Viertel der Schüler/innen geben zudem auch an, dass sich ihre Lehrer/innen bei Witzen übe Lesben und Schwule beteiligt und mitgelacht haben. Auch hier wird es bisweilen versäumt, Vorurteile und Ausgrenzung zu thematisieren und für ein offenes Klima der Vielfalt zu sorgen. Somit gehört nicht nur die Diskriminierung von Klassenkamerad/innen sondern sogar auch durch Lehrkräfte zum Alltag von LSBT-Schülerinnen. Zu ähnlichen Befunden kommen auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2013: 53) und Marina Rupp (2009: 297)

Fazit

Der LSVD Thüringen unterstützt den Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen, sexuelle und geschlechtliche Vielfalt im Thüringer Bildungswesen zu verankern. Es wurde aufgezeigt, dass LSBTI an Schulen zu oft mit negativen Einstellungen und Stigmatisierungen begegnet wird. Eine gleichwertige Thematisierung von LSBTI-Lebensweisen, die Vorurteilen und Stereotypen aufweichen könnte, ist weder in der Sexualerziehung verbindlich und explizit festgeschrieben noch findet sie sich in den Thüringer Lehrplänen. Geeignete Unterrichtsmaterialien finden sich nur bedingt in den Schulbüchern. Weitergehende Informationen oder Handreichungen fehlen. So bleibt es Lehrkräften in der Regel selbst überlassen, in ihrem Unterricht Anlässe zu schaffen oder zu nutzen, um über LSBTI zu sprechen. Zudem werden sie in der pädagogischen Aus- und Fortbildung kaum auf das Thema vorbereitet.

Thüringen ist seit 2013 Mitglied in der Koalition gegen Diskriminierung und hat sich damit verpflichtet, auch aktiv Maßnahmen gegen Benachteiligungen aufgrund von sexueller Identität und Geschlecht einzuleiten. Im Rahmen dieser Verpflichtung halten wir die Verankerung von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt im Kontext Bildung für einen sinnvollen wie notwendigen Schritt, um für ein offenes und wertschätzendes Klima an Schulen zu sorgen.

Um die Implementierung zu gewährleisten halten wir den Vorschlag eines landesweiten Projekts zur Unterstützung der Schulen für einen geeigneten Vorschlag. Ein Team aus Expertinnen und Experten kann sich an der Fortbildung und Information von Schulleitung und Lehrkräften beteiligen. Mit Öffentlichkeitsarbeit und Best-Practice-Beispielen können Vorbilder aufgezeigt werden und so Schulen ermutigt werden, sich aktiv für ein diskriminierungsfreies und offenes Unterrichts- und Schulklima einzusetzen. Als Vorbild für solch ein Projekt bieten sich die Initiative „Schule ohne Rassismus – Schulen mit Courage“[5] oder auch das Projekt „Schule der Vielfalt“ [6] in Nordrhein-Westfalen an.

Immer mehr Bundesländer setzen sich zudem zum Ziel, aktiv gegen Vorurteile und Feindlichkeit gegenüber LSBTI einzusetzen und haben entsprechende Aktionspläne für Vielfalt und Akzeptanz erarbeitet und umgesetzt bzw. befinden sich im Erarbeitungsprozess. Zu diesen Ländern gehören Baden-Württemberg, Berlin, Bremen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein (LSVD 2014). Mit einer Vielzahl an Maßnahmen in den Bereichen Bildung, Verwaltung, Pflege/Gesundheit, Polizei, Sport wird für Ausgrenzung sensibilisiert und ein diskriminierungsfreies Zusammenleben angestrebt. Diese Aktionspläne sind seit langem eine Forderung des LSVD. Von daher halten wir es für sinnvoll, wenn die Implementierung von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt im Thüringer Bildungswesen eingebettet wird in ein breites Maßnahmenpaket im Rahmen eines eigenen Landesprogrammes.

Thüringen würde damit ein wichtiges Signal setzen, dass die Thüringer Landesverfassung für alle Thüringerinnen und Thüringer gilt, d.h. auch für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle. Denn auch sie gehören zu Thüringen.

Literaturverzeichnis

Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2013): Diskriminierung im Bildungsbereich und im Arbeitsleben. Zweiter Gemeinsamer Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und der in ihrem Zuständigkeitsbereich betroffenen Beauftragten der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages http://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Downloads/DE/publikationen/Gemeinsamer_Bericht_zweiter_2013.pdf?__blob=publicationFile

Bittner, Melanie (2012a): Die Ordnung der Geschlechter in Schulbüchern. Vorstellung der Studie „Geschlechterkonstruktionen und die Darstellung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans* und Inter* (LSBTI) in Schulbüchern. http://www.gew.de/Binaries/Binary88533/Schulbuchanalyse_web.pdf

Bittner, Melanie (2012b): Die Ordnung der Geschlechter in Schulbüchern. Vorstellung der Studie „Geschlechterkonstruktionen und die Darstellung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans* und Inter* (LSBTI) in Schulbüchern. Eine gleichstellungsorientierte Analyse von Melanie Bittner im Auftrag der Max-Traeger-Stiftung” durch die Autorin im Rahmen der Tagung „Sexuelle Identität und Gender. (K)Ein Thema in Schulbüchern?“ am 20.04.2012 in Berlin. (http://www.lsvd-blog.de/?p=2698) Die ganze Studie findet sich unter:

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Hg.) (2004): Richtlinien und Lehrpläne zur Sexualerziehung. Eine Analyse der Inhalte, Normen, Werte und Methoden zur Sexualaufklärung in den sechzehn Ländern der Bundesrepublik Deutschland. (http://www.dgg-ev-bonn.de/conpresso/_data/BZgA_KMK2004.pdf)

European Union Agency For Fundamental Rights (2013): EU LGBT survey: European Union lesbian, gay, bisexual and transgender survey. Results at a glance (http://fra.europa.eu/sites/default/files/eu-lgbt-survey-results-at-a-glance_en.pdf)

icon kids & youth (2002): 61 Prozent der deutschen Jugendlichen lehnen Homosexuelle ab www.iconkids.com/deutsch/download/presse/2002/2002_2.pdf

Haupt, Martin (2006): Das Unbehagen mit Geschlechtern. In: Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport (Hrsg.): Zusammen leben in Berlin. Männlich – weiblich – menschlich. Trans- und Intergeschlechlichkeit. Dokumente lesbisch-schwuler Emanzipation Nr. 22. Berlin: o. V.. S. 71–74.

Hellweg, Kerstin (2006): Interviews. Erfahrungen junger Transgender-Menschen in der Schule. In: Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport (Hrsg.): Zusammen leben in Berlin. Männlich – weiblich – menschlich. Trans- und Intergeschlechlichkeit. Dokumente lesbisch-schwuler Emanzipation Nr. 22. Berlin: o. V.. S. 66–70.

Hofsäss, Thomas (1999): Exkurs zum Suizidalverhalten von Jugendlichen mit gleichgeschlechtlicher Orientierung. In: Berliner Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport, Fachbereich für gleichgeschlechtliche Lebensweisen (Hrsg.): Sie liebt sie. Er liebt ihn. Eine Studie zur psychosozialen Situation junger Lesben, Schwuler und Bisexueller in Berlin. Berlin: Herausgeberin. S. 82–93.

Klocke, Ulrich (2012): Akzeptanz sexueller Vielfalt an Berliner Schulen. Eine Befragung zu Verhalten, Einstellungen und Wissen zu LSBT und deren Einflussvariablen. Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung, Berlin. Im Internet abrufbar unter: http://www.berlin.lsvd.de/wp-content/uploads/2012/10/Studie_Klocke_20122.pdf

Krell, Claudia (2013): Lebenssituationen und Diskriminierungserfahrungen von homosexuellen Jugendlichen in Deutschland. Abschlussbericht der Pilotstudie. http://www.lsvd.de/fileadmin/pics/Dokumente/Studien/Abschlussbericht_Pilotstudie_Lebenssituationen_und_Diskriminierungserfahrungen_von_homosexuellen_Jugendlichen_in_Deutschland.pdf

LSVD (2014): Aktionspläne. Respekt in Bund und Land. http://www.lsvd-blog.de/?p=6891

LSVD (2013): Lehrplan für Enttabuisierung. Saarländischer Bildungsminister übergibt  neue Richtlinien zur Sexualerziehung und dankt dem LSVD. http://www.lsvd-blog.de/?p=6054

Rupp, Marina (2009): Die Lebenssituation von Kindern in gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften. http://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/pdfs/Forschungsbericht_Die_Lebenssituation_von_Kindern_in_gleichgeschlechtlichen_Lebenspartnerschaften.pdf?__blob=-publicationFile. Siehe auch http://www.lsvd.de/lebensformen/lsvd-familienseiten/publikationen/erste-repraesentative-studie-ueber-regenbogenfamilien-in-deutschland.html

Streib-Brzič, Uli/Quadflieg, Christiane (Hrsg.) (2011): School ist out!?. Vergleichende Studie: Erfahrungen von Kindern aus Regenbogenfamilien in der Schule, durchgeführt in Deutschland, Slowenien und Schweden. Teilstudie Deutschland, Berlin. Im Internet abrufbar unter: http://www.hu-berlin.de/pr/pressemitteilungen/pm1202/pm_120209_00

Timmermanns, Stefan (2003): Keine Angst, die beißen nicht!. Evaluation schwul-lesbischer Aufklärungsprojekte in Schulen, Norderstedt.

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[2] Allgemeine Hinweise zu den Rahmenplänen für Unterricht und Erziehung in der Berliner Schule A V 27: Sexualerziehung (http://www.berlin.de/imperia/md/content/sen-bildung/schulorganisation/lehrplaene/av27_2001.pdf?start&ts=1394618125&file=av27_2001.pdf)



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