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Liebe Heteros,

die Freiheit, die LSBTIQ verteidigen, ist nicht nur ihre eigene Freiheit, sondern auch Eure: Es ist die Freiheit, Rollenerwartungen, dAxel_Blumenthal_LSVDie zu einem selbst nicht passen, nicht erfüllen zu müssen.

Was wollen die Steebs und Matusseks?

Dass wir ihre Erwartungen erfüllen. Wir sollen das tun, was sie auch tun mussten, egal ob sie es wollten, vielleicht sogar schön fanden, oder nicht. Sie wagten es nicht, infrage zu stellen. Noch weniger hätten sie es gewagt, sich zu verweigern.

Diesen Mut sich zu verweigern (dem „permissiven Zeitgeist“ nämlich) behaupten sie erst jetzt zu haben, da sie mit dem Rücken an der Wand stehen, weil sie über keinerlei logisch-rationale Argumente gegen eine Gleichstellung mehr verfügen. Die glaubten sie früher zu haben, weil es funktionierte, gewaltige Worthülsen und argumentative Nichtigkeiten immer wieder zu wiederholen und so als selbst-evident erscheinen zu lassen. Vielleicht täuschten sie damit nicht nur andere, sondern sogar sich selbst.

Seit aber genug Menschen dieses Spiel durchschaut haben, seit diese Methode nicht mehr funktioniert, scheint es nun der einzige Weg zu sein, sich dem gesellschaftlichen Fortschritt mit der argumentativen Brechaxt entgegenzuwerfen und sich selber zum Verteidiger einer Freiheit emporzustilisieren, die gar nicht in Gefahr ist.Eine andere Meinung zu haben ist vollkommen in Ordnung.

Seine eigene Meinung aber zum Diktat über andere Menschen und ihre sexuelle und/oder geschlechtliche Identität zu erheben und sie in ihren Rechten und Freiheiten zu beschneiden, ihre Ungleichbehandlung aufrecht zu erhalten, hat nichts mehr mit Meinungsfreiheit zu tun, sondern es liefert die Grundlage zu offener Homosexuellenfeindlichkeit.

Richard Scott Kennedy aus Blackpool wurde Opfer einer solchen homosexuellenfeindlichen Attacke. Vier Zähne wurden ihm ausgeschlagen, zum Teil in den Gaumen hineingeprügelt. Er wurde getreten und zusammengeschlagen, weil er schwul ist.

Warum ich will, dass Ihr das lest? Weil Richard ein Kind heterosexueller Eltern ist und keines aus einer Regenbogenfamilie! Ihr solltet endlich verstehen, dass es nicht einfach um irgendjemanden geht, den Ihr nicht kennt, sondern dass es eines Tages passieren kann, dass eines Eurer Kinder sich outet und Opfer einer solchen Attacke wird. Vielleicht geht es eines Tages auch um Euch, weil Ihr Euch als Eltern um Euren Sohn oder Eure Tochter sorgen müsst.

Wenn es darum geht, die Vielfalt sexueller und geschlechtlicher Identitäten abzubilden, dann geht es auch darum, dass ein gesellschaftliches Klima geschaffen wird, in dem Eure Kinder genauso sicher und frei leben und sich genauso frei entfalten können, wie wir und unsere Kinder…

Die Homophobie der vermeintlich Intellektuellen wird im Gegensatz zu der dumpfen Homosexuellenfeindlichkeit, die auf optisches Anderssein mit Gewalt reagiert, umso manifester, je weiter auch LSBTIQ ihre zugewiesenen Rollen verlassen.

Ein gutes Beispiel liefert die Berichterstattung über die CSDs. Medial im Mittelpunkt stehen die bunten, ja schrillen „Anderen“. Die bunte Dragqueen, der schwarze Lederkerl … Sie sind attraktiv anders… Sie verstärken die Distanz… Wer liest unter dem Bild über den Büroalltag von „Miss Superschrill“, oder in der Anwaltskanzlei von „Karl Finster“? Niemand. Denn er existiert nicht, weil er nicht existieren soll. Es würde den Exotenstatus konterkarieren und die Frage zulassen, ob man selbst nicht vielleicht auch einmal gern.…

Und die Distanz käme ins Wanken…

Reagierten die einen mit Abscheu, Ekel und Hass auf alles „Bunte“ und offensichtlich Abweichende, wurden für andere rechtskonservativen Kräfte LSBTIQ vor allem dadurch zur empfundenen Bedrohung, weil sie in den letzten Jahrzehnten genau diese konstruierte und dann zum Postulat erhobene Distanz hinterfragten. Sie eigneten sich Lebensentwürfe an, die ihnen nicht zugedacht waren. Zum Teil noch nicht einmal von ihren eigenen Communities, die nur das Bürgerliche darin sehen konnten oder wollten.

Lesben und Schwule auf dem Standesamt sind deshalb vielleicht genauso revolutionär wie bürgerlich, weil gerade das Bürgerliche eine Rolle repräsentiert, die ihnen nicht zugedacht war. Vielleicht auch weil sie es vielleicht dann sogar schaffen, in ihren Partnerschaften weitere Rollenerwartungen zu konterkarieren (etwa das Spießige daran).

Regenbogenfamilien werden von den selbsternannten „Konservativen“, die nichts mehr bewahren wollen als jene Distanz, als ultimative Bedrohung wahrgenommen. Denn sie decken den Irrsinn der Argumentation mit Fortpflanzungsfähigkeit auf, die uns immer wieder abgesprochen wird. Natürlich können Lesben und Schwule Kinder bekommen (das konnten sie schon immer und sie tun es jetzt vielleicht nur bewusster und in Familienformen, die besser zu ihnen passen) und genauso natürlich können sie ihre Kinder erziehen.

Was aber bleibt dann noch vom Pathos der eigenen heterosexuellen Überlegenheit und der mit ihr verknüpften Illusion gesellschaftlichen Mehrwerts?

Nichts, außer ein paar trotzig herumkrakelenden Schreiberlingen wie Matussek und Sarrazin, die ihren Sinn nur noch in der Provokation und der dadurch entstehenden Aufmerksamkeit finden und ihren ängstlichen Hintermännern und ‑frauen. Sie sind Agent-Provocateurs von Systemen wie der katholischen Kirche, die ihre moralische Vormachtstellung in Gefahr geraten sehen, aus der heraus sie mit der großen Geste des Absoluten, des angeblich Immer-Da-Gewesenen, des scheinbar „Natürlichen” Standards und Normen bestimmen konnten, ohne hinterfragt zu werden.

Genauso wie sich die römisch-katholische Kirche gegen das kopernikanische Weltbild wehrte, muss sie sich gegen die Infragestellung ihrer Sexualmoral wehren.

Sie und ihre Agenten erinnern fatal an den Kaiser mit den neuen Kleidern aus Andersens Märchen, denn sie tragen ihre Nacktheit auch noch stolz vor sich her.

Vielleicht sollten wir sie öfter auslachen.
Gerne auch gemeinsam mit Euch!

Axel Blumenthal
LSVD-Bundesvorstand

 



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