Kategorien
Hirschfeld-Eddy-Stiftung Veranstaltungen

HIV-AIDS in der LGBTI-Menschenrechtsarbeit

Andreas Wulf (medico international) - Foto: LSVD/ Caro KadatzImpulsreferat von Andreas Wulf, (medico international) Veranstaltung “Kick-off: Yogyakarta-Allianz — Ein zivilgesellschaftliches Bündnis für eine LSBTI-inklusive Entwicklungs– und Außenpolitik” im Deutschen Institut für Menschenrechte, 26. April 2013.

Das Thema HIV/AIDS hat für die LGBTI-Community eine hohe Ambivalenz mit einer Reihe von negativen, aber auch potentiell positiven Auswirkungen, die ich im Folgenden kurz skizzieren will:

Einerseits besteht ein extrem starkes Stigmatisierungspotential, besonders in Ländern, in denen LGBTI – vor allem Schwule Männer / Männer, die Sex mit Männern haben (MSM) und SexarbeiterInnen zu den Hauptbetroffenengruppen zählen: Sexuell übertragbare Krankheiten bergen immer ein hohes Stigmatisierungs- und Diskriminierungspotential durch die Verknüpfung von Sexualmoral und Krankheitsängsten – Sexuelle Minderheiten gelten schnell als unmoralische Krankheitsverbreiter. Häufig vermischen sich dabei multiple Ausgrenzungen und Stigmatisierungen (z.B. mit Vorwürfen von Promiskuität, Drogengebrauch und Pädophilie/ Missbrauch), besonders wenn Sexuelle Minderheiten zusätzlich in prekäre Überlebensökonomien wie Sexarbeit gezwungen werden. Die traditionelle Tendenz öffentlicher Gesundheitsprogramme zur Kontrolle und „Eindämmung“ übertragbarer Krankheiten droht zusätzlich mit einer potentiellen Kriminalisierung von HIV Positiven von Zwangstests (bei Migration) und Visabestimmungen bis hin zu Zwangsbehandlungen oder Anklagen und Verurteilungen wegen „vorsätzlicher“ Infektion.

Andererseits hat HIV/AIDS auch ein hohes Potential zur Überwindung von Unsichtbarkeit und zur Selbstorganisierung der LGBTI: Es besteht eine Dringlichkeit durch hohe eigene Betroffenheit (v.a. Schwule, Transpersonen, SexarbeiterInnen), die in vielen Ländern eine offensive Kampagnenarbeit und neue Bündnisse mit progressiven Kräften innerhalb und außerhalb der Gesundheitsszene möglich machte: Durchsetzung von Inklusion und Empowerment-Strategien in der Bekämpfung von HIV-Aids gegenüber den traditionellen repressiven Kontrollmechanismen herkömmlicher Public Health Programme: „New Public Health – Strukturelle Prävention“ Freiwilliges  Beraten und Testen statt Zwangskontrollen und Isolation, Harm Reduction statt Kriminalisierung von Prostitution und Drogengebrauch – Insgesamt konnten nicht nur in Europa und Nordamerika, sondern z.B. auch in Lateinamerika, Südafrika, Indien menschenrechtliche Normen in den Debatten um Öffentliche Gesundheit und LGBTI Rechte neu verhandelt und durchgesetzt werden: Rechte von People living with HIV/AIDS (PLHA) – Rechte von LGBTI

Auch starke Sichtbarwerdung von sexuellen Minderheiten: Aidshilfen in jeder Kleinstadt – neue Bündnisse: Koalition der Uneinsichtigen“. Dies hängt auch mit den stark gestiegenen Ressourcen für Prävention / Behandlung zusammen, birgt aber die Gefahr, dass es bei der Abnahme der Bedrohungsszenarien zu einem Versiegen solcher Mittel kommt, weil andere Gesundheitsprobleme als relevanter angesehen werden.

Entscheidend ist aber vor allem für Ländern, in denen LGBTI weiterhin kriminalisiert oder stark ausgegrenzt sind (arabische Welt, Afrika, GUS Staaten) dass unter dem Stichwort HIV-Prävention/Behandlung auch dort Selbstorganisierungen „unterhalb der unmittelbaren Sichtbarkeit“ entstehen können – und es bieten sich Möglichkeiten von Bündnissen über den engen LGBTI Rahmen hinaus in eine Progressive Gesundheits- und Menschenrechtsszene hinein.

Beispiele von medico Partnerorganisationen

1. ABIA Associacao Brasilera Interdisciplinar de AIDS, Rio de Janeiro, Brasilien

Gegründet von Aktivisten, die schon in den 80er Jahren Teil der zivilgesellschaftlichen Demokratie-Bewegungen gegen die Diktatur waren. Schwule Männer, Transsexuelle und SexarbeiterInnen gehörten seit Beginn der HIV-Epidemie zu den Hauptbetroffenen, die sich aktiv in Präventionsaktivitäten und für das Recht auf Behandlung für alle im Rahmen des mit der Demokratie durchgesetzten öffentlichen Gesundheitsdienst (SUS Sistema Universal de Saude)  engagierten: Ein wichtiges Kampagnenthema waren die hohen Medikamentenpreise, die zu einem der weltweit ersten öffentlichen Generikaproduktionsprogramme für HIV-Medikamente in Brasilien führte. ABIA kritisierte dabei immer wieder die Patente auf diese Medikamente, und konnte hier auch Erfolge verbuchen, nicht nur für HIV-AIDS Behandlung, sondern auch beispielsweise für teure Krebsmedikamente.

2. Marsa, Sexual Health Center in Beirut, Libanon

Entstanden als Gesundheits- und Psychosoziales Unterstützungsprogramm bei Helem, einer LGBT Selbsthilfe und Advocacy organisation. Weiterentwicklung/Professionalisierung in ein „Zentrum für sexuelle Gesundheit“, medizinische, psychologische und soziale Beratung und Behandlung für alle, Schwerpunkt liegt auf HIV-/Hepatitis Beratung und Testen und öffentliche Aktionen. Motto: „Wir helfen Schamlos“, Kampagnen zum Welt Aids Tag am 01. Dezember u.ä.

Sie haben ein breites Unterstützernetzwerk von Gesundheitsprofessionellen in den ersten zwei Jahren ihrer Arbeit aufgebaut, an die KlientInnen mit spezifischeren medizinischen Bedürfnissen weiter verweisen können. Punktuelle Kooperationen mit dem Gesundheitsministerium und dem Nationalen AIDS Programm, von denen sie aber nur Sachspenden erhalten, keine Grundfinanzierung.

Bemerkenswert ist eine große Gruppe von UnterstützerInnen, die die Arbeit von Marsa mit aktivem Fundraising unterstützen, daraus soll ein dauerhaftes Netz von Fördermitgliedern werden, die die nachhaltige Finanzierung des Zentrums sicherstellen sollen.

3. GALZ, Gays and Lesbians in Zimbabwe

Selbsthilfe- und Advocacyorganisation, die die Entkriminalisierung von Homosexualität und eine an Menschenrechten orientierte Inklusion sexueller Minderheiten in die eigene Gesellschaft vorantreiben und z.B. in der aktuellen neuen Verfassung dazu auch einige Erfolge aufweisen können – bei einem nach wie vor hohen Repressionsniveau gegen ihre Arbeit durch die Polizei und Behörden.

In Ihrem Gesundheitsprogramm mit Schwerpunkt auf HIV-Prävention und Aufklärung setzen sie in einer primär heterosexuellen Epidemie die Diskriminierung der PLHA in Beziehung zur Diskriminierung sexueller Minderheiten – Sexualmoral und autoritäre Geschlechterbilder als gemeinsamer Feind. Die HIV-Präventionsarbeit ermöglicht ihnen auch aus dem eigenen städtischen Milieu mehr Kontakte in ländlichen Gemeinden mit dortigen HIV-AktivistInnen zu schließen.

Fragestellungen und Empfehlungen

Inwieweit kann man Gesundheitsprogramme nutzen, um SOGI-Förderung (sexuelle Orientierung/Gender-Identität) zu betreiben? Wie kann man durch Gesundheitsprogramme die (öffentliche) Debatte um SOGI befördern? Wie Selbstorganisation von LSBTI/sexuelle Minderheiten?

Gesundheitsdiskurse/-programme können tendenziell „entkriminalisieren“, gerade auch durch gemeinsam erlebte Bedrohung / zu meisternde Herausforderungen:  pragmatische Einbindung der Betroffenen realisieren — allerdings nicht nur instrumentell als „peer councelors“ um an die „Zielgruppe/Risikogruppe“ ranzukommen, sondern in der konzeptionellen Gestaltung der Programme, als Experten ihrer Lebenswirklichkeit zur Stärkung individueller und kollektiver Kapazitäten im gesundheitsförderlichen Umgang mit infektions-riskanten Situationen – damit auch Abwehr von Schuldzuschreibungen an die schon infizierten/Erkrankten

Erfahrungen mit Kooperationen staatlicher Behörden und Betroffenengruppen in gemeinsam zu verantwortenden Programmen, z.B. in den Local Coordination Councils der Global Fund Programme

Welche Unterstützung ist notwendig/ wie muss sie ausgestaltet sein? — Wo kann man als Geber hier in Deutschland bzw. als Akteur vor Ort ansetzen, um Menschenrechte in Bezug auf sexuelle Orientierung/Geschlechtsidentität zu fördern?
Gezielte Stärkung zivilgesellschaftlicher Akteure in ihrer Kooperation mit staatlichen Behörden und Stellen.
Zielsetzung auf Inklusion – nicht nur in Bezug auf sexuelle Orientierung/Geschlechtsidentität, sondern allgemeiner Toleranz und Akzeptanz diverser Lebensrealitäten und Anerkennung von Differenz: ethnisch, kulturell, sprachlich, darin gezielte Stärkung zivilgesellschaftlicher Akteure in ihrer Kooperation / Auseinandersetzung mit staatlichen Behörden und Stellen

Auf welche Widerstände trifft man? 
„Moralische Mehrheiten“ in Gesellschaften mit starker (monotheistischer) religiöser Prägung (christlich /muslimisch), Instrumentalisierungen für Identitätspolitiken („Kulturkampf“, African Renaissance, Anti-koloniale Diskurse)

Wie lassen sich diese bewältigen?
Bündnisse mit anderen Akteuren, gezielt auch „non LGBT“-Supporters, die das Gegenargument unterlaufen, man würde nur Politik in eigener Sache machen



Teile diesen Beitrag: