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Sexuelle Identität und negative Wahl- beeinflussung

Urteil zur Bürgermeisterwahl 2010 in Bischofswerda

Im Wahlkampf ist nicht jedes Mittel recht, das entschied im vergangenen Monat das Oberver- waltungsgericht Bautzen. Vor der Wahl des Bürgermeisters der sächs- ischen Kleinstadt Bischofswerda bei Dresden hatte die CDU den SPD-Politiker Jens Krauße (45), Kontrahent des amtierenden CDU-Bürger- meisters Andreas Erler (49), als „Lügner“ bezeichnet. Zudem musste mal wieder „schwul“ als Schimpfwort herhalten: Auf den Flyern wurde Krauße trotz Ehefrau und Kind als homosexuell bezeichnet. Bei der Wahl 2010 erhielt er dann nur 2656 Stimmen, der amtierende Oberbürgermeister Erler bekam 2879 Stimmen und konnte sich so mit knapper Mehrheit im Amt retten.
Die anti-homosexuelle Kampagne der CDU (die Bild-Zeitung sprach von der „Schwulen-Kampagne“) ging vor Gericht: Das Oberverwaltungsgericht in Bautzen entschied Ende 2011, die verwendeten Flyer seien unabhängig vom Wahrheitsgehalt zur Kompromittierung und damit zur rechtswidrigen Wahlbeeinflussung geeignet gewesen. Nach Auffassung des Gerichts war es das Ziel, “Wähler mit Vorbehalten gegen Homosexualität zu veranlassen, den Gegenkandidaten nicht zu wählen”.
Tom Haus und Michel Röhricht vom LSVD Sachsen begrüßten das Urteil: „Dies ist eine offene Form von Diskriminierung, weil das Thema sexuelle Orientierung als Mittel zur negativen Wahlbeeinflussung gebraucht wurde. Sexuelle Orientierungen sind wirklich Privatsache.“
Dieser Fall ist beispielhaft für den geringen Stellenwert, den Homosexuelle in Sachsen immer noch flächendeckend haben, in der Lokal- wie Landespolitik. Es gibt noch viel zu tun. Durch die rechtswidrige Wahlbeeinflussung war es möglich, die Wahl zu Ungunsten des Gegenkandidaten Krauße zu gewinnen, da dieser ohne die Gesetzesverstöße bei der Wahlwerbung möglicherweise gewählt worden wäre.
Der CDU-Politiker Erler sorgte nicht nur einmal für Schlagzeilen über die Lokalpresse hinaus. Im Wahlkampf zur Bürgermeisterwahl 2008 tönte er lokalpatriotisch “für jede erhaltene Stimme einen Euro für die Vereine unserer Stadt” zu spenden.
Es ist noch offen, ob und wann eine Neuwahl stattfinden wird. Das Urteil ist nicht zur Revision zugelassen, kann aber vom derzeitigen Bürgermeister Erler und dem Landratsamt Bautzen beim Bundesverwaltungsgericht Leipzig angefochten werden. Sobald die schriftliche Urteilsbegründung vorliegt, werden sich Landratsamt und OB über weitere Schritte verständigen. Wir sind gespannt, was da noch kommt.

Michel Röhricht, LSVD Sachsen



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