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Zwischen Anonymität und Outing

Interview mit dem Datenschutzbeauftragten Dr. Thilo Weichert

respekt!: Herr Dr. Weichert, ganz global gefragt: Welche Rolle spielt das Merkmal sex- uelle Identität im Kontext des Datenschutzes?

Dr. Thilo Weichert: Gemäß dem Bundesdatenschutz- gesetz und der Europäischen Datenschutz- richtlinie gehören „Daten über Sexualleben“ zu einer sog. „besonderen Kate- gorie“ personenbezogener Daten, die wegen ihrer Sensibilität nur sehr eingeschränkt und regelmäßig nur nach Einwilligung der betroffenen Menschen verarbeitet werden dürfen. Unabhängig von dieser formalen Einordnung gehört die „sexuelle Identität“ zum Kernbereich des persönlichen Lebens und ist der Intimsphäre zuzuordnen. Hier geht es um „innere“, empirisch und äußerlich nur schwer feststellbare Umstände, die in einem engen Zusammenhang mit vielen seelischen Vorgängen in vielen Lebensbereichen steht. Angesichts der Erfahrungen – nicht nur, aber auch mit dem Nationalsozialismus – wissen wir, dass bei von der „gesellschaftlichen Norm“ abweichenden Merkmalen in diesem Bereich ein gewaltiges Manipulations‑, Diskriminierungs- und Verfolgungspotenzial besteht.

Lesben und Schwule können heute in Deutschland so frei und offen leben, wie nie zuvor. Dennoch sind Homophobie und Diskriminierung noch nicht überwunden. Gerade am Arbeitsplatz vermeiden viele Lesben und Schwule deshalb ein Outing. Aber der Chef googelt und surft möglicherweise auch gerne. Was rät der Datenschützer?

Jede und jeder muss selbst entscheiden auf der Basis der persönlichen Lebensbedingungen. Lesbisch oder schwul zu sein, muss keine Nachteile und kann Vorteile zur Folge haben. Die Vor- und Nachteile muss ich abschätzen, wobei ich die Erkenntnisse zum „Identitätsmanagement“ heranziehen sollte: Je nach Rolle kann für einen selbst einmal „Outing“ und ein andermal „Geheimhaltung“ richtig sein. Das Problem ist heutzutage, dass wir unsere Rollen, etwa in der Familie, im Beruf, im Verein, in der Nachbarschaft … immer weniger voneinander abschotten können, weil nicht nur über soziale Kontakte, sondern auch über die Informationstechnik immer mehr Überschneidungen stattfinden. Trotzdem sollten wir uns jeweils rollenadäquat verhalten und im Zweifel darauf achten, dass im Fall eines Outing dieses sich auf diese Rolle beschränkt. Gesellschaftlich bin ich ein Fan des Outing, um dort, wo noch Homophobie besteht, diese aktiv bekämpfen zu können. Meine Utopie wäre, dass ich keine Ratschläge mehr geben müsste, weil es völlig egal ist, ob jemand hetero oder homo ist. Aber davon sind wir selbst hier in Deutschland noch einiges entfernt. Bei öffentlichen Angaben im Internet muss ich mir darüber bewusst sein, dass diese global abrufbar sind und möglicherweise auch abgerufen werden, etwa wenn ich in die USA oder in arabische Staaten reisen möchte.

Das Internet ist für viele Schwule und Lesben zum wichtigen Ort der Information und Kommunikation geworden. Es gibt auch Sexseiten und Datingportale. Da geht es um sensible Daten. Worauf muss man aufpassen, wie kann man sich möglichst sicher bewegen?

Es kommt darauf an, dass ich dem Anbieter und den an der Kommunikation beteiligten Menschen vertrauen kann. Beim Anbieter ist das äußerst schwierig, wenn dieser anonym ist und von sich keine relevanten Informationen bereitstellt. Doch lässt sich aus den Nutzungsbedingungen, der Privacy Policy, aus Veröffentlichungen im Netz und aus der Gestaltung der Webseite bzw. des Portals vieles ableiten. Bei europäischen Diensten gibt es die Chance der Umsetzung eines bestehenden Datenschutzrechtes, was nicht für Anbieter aus den USA und vielen anderen Ländern gilt. Wichtig sind natürlich auch die eigenen Erfahrungen und die des persönlichen Umfeldes. Dabei spielt z. B. eine Rolle, ob im Fall von Beschwerden direkte Ansprechpersonen bereit stehen und diese auch helfen können, etwa wenn diskriminierende Inhalte entfernt werden sollen.

Hinsichtlich der Kommunikationspartner haben wir auch das Problem, dass diese weltweit verteilt und anonym sein können. In solchen Fällen ist dringend das erwähnte Identitätsmanagement zu empfehlen, also die Verwendung eventuell unterschiedlicher Pseudonyme. Kenne ich meine Kommunikationspartner und vertraue Ihnen, dann kann ich mich diesen in diesem Maße auch anvertrauen. Sowohl bzgl. der Anbieter wie auch bzgl. der persönlichen Partnerinnen und Partner kann man gute, vor allem aber böse Überraschungen erleben. Sicherheiten gibt es hier leider nicht. Ja es gibt noch nicht einmal allgemein verbreitete Zertifikate, mit denen die Seriosität geprüft und nachgewiesen werden könnte. Wir hier im Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz in Kiel sind bisher die einzige Stelle, die solche unabhängigen, qualifiziert geprüften und transparenten Zertifikate ausstellen.

Vorratsdatenspeicherung, also die anlasslose Speicherung der Telekommunikationsverbindungsdaten aller Bürgerinnen und Bürger, ist ein politisch heiß umstrittenes Thema. Auch viele Schwule und Lesben machen sich darüber Sorgen. Zu Recht?

Jein. Die bisherige Vorratsdatenspeicherung wurde zu Recht vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt. Ich bin auch ein Gegner einer abgespeckten Vorratsdatenspeicherung, weil davon vor allem unverdächtige und unschuldige Personen betroffen sind, deren Kommunikation umfassend nachvollzogen werden kann. Tatsächlich lässt sich aus den Verkehrsdaten eine Kommunikationsstruktur ablesen, die wiederum Rückschlüsse, z. B. auch auf die sexuelle Orientierung erlauben. Solche Auswertungen wären natürlich absolut heikel und zeigen die Gefährlichkeit der Vorratsdatenspeicherung generell. Da die Auswertung der Daten aber unter staatlicher Kontrolle erfolgen soll und solche Auswertungen unzulässig wären, hab ich die Hoffnung, sollte die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland eingeführt werden, was ich befürchte, dass solche sensiblen Auswertungen nicht stattfinden.

Beschäftigten in katholischen Einrichtungen droht die Kündigung, wenn bekannt wird, dass sie eine Eingetragene Lebenspartnerschaft eingegangen sind. Wenn demnächst hoffentlich auch die Gleichstellung im Steuerrecht erkämpft ist, bekommt aber ein Arbeitgeber Meldung über die Zusammenveranlagung. Ein echtes Dilemma. Oder ist da eine spezielle Datenschutzregelung denkbar?

Es war schon immer eine gesellschaftliche und oft eine individuelle Katastrophe, dass im kirchlichen Arbeitsrecht einige Grundrechte nicht zur Anwendung kamen. Die Privilegierung der Kirchen im Arbeitsrecht ist absolut unzeitgemäß. Unabhängig davon müssen die Kirchen lernen, dass die persönliche sexuelle Orientierung nichts mit dem Glauben zu tun hat. Die evangelische Kirche ist hier schon einen Schritt weiter. Aber als junger Anwalt musste ich noch einen evangelischen Pfarrer vertreten, dem nichts anderes vorgeworfen wurde als eine homosexuelle Beziehung. Die Gleichstellung im Partnerschafts- und im Steuerrecht ist der richtige Weg. Die Kirchen müssen dem folgen.

Bis weit in die 80er Jahre hinein waren „Rosa Listen“ bei Polizeibehörden ein großes Thema. Wie steht es derzeit um die Speicherung des Merkmals „homosexuell“ bei Tätern und Opfern in polizeilichen Datenbanken?

Zwar gibt es meines Wissens offiziell diese Listen und auch das formalisierte sog. personengebundene Merkmal „homosexuell“ in Polizeidateien nicht mehr, aber die Information findet sich dennoch immer noch in vielen Datenbeständen. Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn dies tatsächlich ermittlungsrelevant ist. Leider ist es aber so, dass hier oft die bestehenden Vorurteile bei den die Daten eingebenden Polizeibeamten ausschlaggebend sind, so dass dieses Merkmal als relevant gespeichert wird.

Eine Frage zu Transgender: Menschen, die die Möglichkeiten des Transsexuellengesetzes in Anspruch nehmen, soll ein Offenbarungsverbot hinsichtlich des früheren Vornamens oder Geschlechts vor Diskriminierung schützen. Funktioniert das Ihrer Kenntnis nach gut oder kennen die Datenschützer hier Problemfälle?

Wir erhalten als Datenschutzbehörden nur sehr selten in diesem Bereich Beschwerden, was darauf hinweist, dass der Diskriminierungsschutz einigermaßen zu funktionieren scheint. Aber es gibt Beschwerden. Die sind zumeist darauf zurückzuführen, dass niemand einen vollständigen Schnitt in seiner Lebensgeschichte machen kann und dann plötzlich Daten von einem mit anderem Geschlecht im Raum stehen. Nach meinem Eindruck aber sind die Behörden hier sensibilisiert und geben sich Mühe.

Sie gelten als großer Facebook-Kritiker. Stimmt es, dass Sie den „Gefällt-mir“-Button verbieten wollen? Was gefällt Ihnen daran nicht?

Nicht ich verbiete den „Gefällt mir“-Button. Das Datenschutzrecht verbietet ihn; ich bin nur der Bote dieser Nachricht. Bei Social-Plugins und Fanpages von Facebook werden umfassende Daten in die USA übermittelt und zu Profilen zusammengeführt, ohne dass es Informationen hierüber und Wahlmöglichkeiten gäbe, wie gesetzlich verlangt. Das Problem besteht übrigens nicht nur bei Facebook, sondern z. B. auch bei Google+. Unsere Aktionen zielen darauf ab, dem Datenschutz im Internet mehr Geltung zu verschaffen, nicht mehr und auch nicht weniger.

Für Verbände wie den LSVD sind Dienste wie Facebook für Information, Diskussion und Mobilisierung fast schon unentbehrlich geworden. Was raten Sie zivilgesellschaftlichen Organisationen wie der unsrigen konkret? Wie können wir die Vorzüge Sozialer Netzwerke nutzen und gleichzeitig datenschutzmäßig korrekt bleiben?

Mir geht es nicht um eine paternalistische Bevormundung von Facebook-Nutzenden. Wer als Privatperson Facebook nutzen will, die oder der soll das tun, aber dann auch wissen, in welche Risiken sie bzw. er sich begibt. In grausamer Weise haben das viele Menschen in arabischen Staaten erlebt, die ihren politischen Widerstand über Communities wie Facebook organisierten, und die wegen des fehlenden Datenschutzes sich damit den Sicherheitsbehörden der noch herrschenden Regierung ausgeliefert haben. Es gibt datenschutzfreundlichere Alternativen zu Facebook, etwa deutsche Communities oder auch das Alternativ-Netzwerk Diaspora. Hier muss eine generelle Bewusstwerdung in Sachen Datenschutz und Web‑2.0‑Anwendungen her. Wir sind damit erst ganz am Anfang.

 

Dr. Thilo Weichert ist Landesbeauftragter für Datenschutz in Schleswig-Holstein. 

Die Fragen stellte Renate Rampf.



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