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Coming-out mit und ohne Kinder

Fachtagung „Regenbogenfamilien bewegen! Beratung zukunftsträchtig gestalten“ (09.05.2017, Berlin) © Caro Kadatz/ LSVDLSVD-Fachtagung „Regenbogenfamilien bewegen“

Würdet Ihr Euren Freund in der Schule küssen? Würdet Ihr Hand-in-Hand mit Eurer Freundin durch die Stadt laufen? Bringt Ihr Euren Schwarm zur Familienfeier mit?

Zum Einstieg in das Forum „Coming-Out Erfahrungen mit und ohne Kinder“ erwartete die Teilnehmenden eine kleine Übung, mit der Dr. Claudia Krell vom Deutschen Jugendinstitut und Arndt Bächler von der Berliner Schwulenberatung aufzeigten, in welchen Situationen ein „Coming-out“ stattfindet – sei es als lesbische/schwule oder heterosexuelle Person, sei es bewusst oder unbewusst.

20 Fragen wurden sowohl aus Sicht einer gleichgeschlechtlich liebenden als auch aus Sicht einer heterosexuellen Person beantwortet. Die deutlichen Unterschiede führten allen vor Augen, dass es in den Bereichen Familie, im Freundeskreis oder auch in der Schule oft an Unterstützung für die eigene Art zu leben und/oder zu lieben mangelt. Die Eindrücke der Teilnehmenden reichten von der Wahrnehmung der eigenen Privilegien, die mit einer heterosexuellen Orientierung verbunden ist, bis zu tiefer Betroffenheit, darüber, wie viel Diskriminierung und Ausgrenzungserfahrungen Lesben und Schwule heute immer noch machen müssen.

Im Hauptteil des Forums ging es dann um die die erste deutschlandweite Studie „Coming-out und dann …?!“ von Dr. Claudia Krell und Kerstin Oldemeier. Rund 5.000 Jugendliche nahmen für das vom Bundesfamilienministerium geförderte Forschungsprojekt des Deutschen Jugendinstituts an einer Onlinebefragung teil. Im Rahmen dieser Befragung sowie 40 qualitativer Interviews wurden bundesweit LSBTQ* Jugendliche zum Verlauf ihres Coming-outs und zu möglichen Diskriminierungserfahrungen, die sie aufgrund einer nicht-heterosexuellen Orientierung und/oder transgeschlechtlichen Zugehörigkeit erlebt haben, befragt.

Die Schwerpunkte der Studie lagen auf den Bereichen Familie, Bildungs- und Arbeitsorte, sowie auf dem Bereich Freundeskreis. Besonders der letzte Bereich ist für viele Kinder und Jugendliche prägend. Auch heute sind junge Menschen von ihren Cliquen und Freundeskreisen abhängig und können sich den hier gemachten Ausgrenzungserfahrungen nur selten entziehen.

Die Studie zeigte deutlich, dass das „innere  Coming-out“, das heißt der Prozess der Bewusstwerdung, schon relativ früh bei Kindern und Jugendlichen einsetzt. Während ungefähr jede*r Vierte den Zeitpunkt der Selbsterkenntnis nicht genau zu nennen vermochte, waren sich 50% der Befragten bereits mit mindestens 14 Jahren darüber klar, dass sie mit ihren Gefühlen den allgegenwärtigen Erwartungen nicht entsprechen konnten und/oder wollten. Für sehr viele begann das innere Coming-out bereits in der Grundschule oder zu Beginn der Pubertät. Dieser Prozess der Identitätsfindung wurde mehrheitlich als mittel bis schwierige Zeit beschrieben. Drei von vier der Befragten hatten Angst vor Ablehnung durch Freund*innen, sieben von zehn befürchteten negative Reaktionen der Familie, 61% gingen von problematischen Konsequenzen in der Schule oder am Ausbildungs-/Arbeitsplatz aus.Dr. Claudia Krell (DT. Jugendinstitut) und Arnd Bächler (Schwulenberatung Berlin) ©Caro Kadatz/ LSVD

In der Regel vergingen mehrere Monate, oftmals auch Jahre, zwischen dem inneren Coming-out und dem ersten äußeren Coming-out. Oftmals wurde genau geplant, wem man sich wo und wann wie outet. Jemandem von ihren Gefühlen und ihrer Identität zu erzählen – das tun Lesben, Schwule und Bisexuelle durchschnittlich erstmalig mit 17, so zeigte es zumindest die Studie. Trans* mit ungefähr 18 Jahren. Die Reaktionen auf das Coming-out erlebten junge Menschen meist positiv, vor allem auch deshalb, weil sie sich für diesen Schritt gezielt Personen  aussuchten, denen sie vertrauen und vor allem von denen sie sich am ehesten Unterstützung erhofften. Im weiteren Verlauf erlebten die Befragten dann zunehmend auch negative Erfahrungen, weil sie sich auch gegenüber Menschen outeten, von denen sie nicht unbedingt positive Reaktionen erwarteten.

Anschließend berichtete Arndt Bächler den Fachkräften aus der Beratungsarbeit der Schwulenberatung: Das lesbische Paar, das zusammen mit einem schwulen Paar eine Familie gründen wollte und auf unterschiedliche Problemlagen stieß, suchten genauso Unterstützung, wie schwule Pflegeeltern, der schwule Großvater oder schwule Männer vor ihrem Coming-out.

Doch wie können Beratungsstellen nun Offenheit gegenüber LSBTIQ* demonstrieren? Zum Beispiel durch explizite Ansprache dieser Gruppe und einer gendersensiblen Schreibweise in Flyern und auf Plakaten. Beide Referent*innen rieten innerhalb der Mitarbeitenden abzuklären, inwieweit Träger und Kolleg*innen diese Offenheit auch mittragen. Eine Offenheit, die nur nach außen gezeigt wird, aber vom Team nicht gelebt werde, sei nicht zielführend.

Auch müsse man eine eigene Haltung zur Thema entwickeln, so Bächler. Möchte ich Beratung für LSBTIQ* anbieten? Die Frage müsse jede*r für sich klären. Über Wissensaustausch und Vernetzung kann sich dann Fachwissen geholt werden.

Empfindungen nicht anzweifeln, die Angst nehmen und das „Coming-out“ als Prozess verständlich machen – das wurde den Teilnehmenden für die Beratungsarbeit mit LSBTIQ* Jugendlichen und deren Angehörigen geraten. Dazu gehört auch geschlechtliche Zugehörigkeit von Klient*innen gegenüber Dritten zu vertreten und bei Konflikten mit Eltern und Schule Partei zu ergreifen und Unterstützung zuzusichern. Auch Eltern brauchen Beratung. Die Frage „Was habe ich falsch gemacht?“ kommt bei vielen Eltern, wenn ihre Kinder sich outen. Berater*innen sollten Eltern die Angst nehmen und sie zum Thema LSBTIQ* aufklären. Auch sollten Ängste von Eltern hinterfragt werden. Ist das Problem wirklich, dass die Tochter eine Frau liebt oder ist es eher, was die Nachbarn oder das familiäre Umfeld darüber denken könnten.

Den Abschluss bildet das Zitat der 22jährigen Alina, die im Rahmen der Studie befragt wurde:

„Ich glaube, ich würde es cool finden, wenn es keine Rolle spielen würde. Wenn es einfach alles gleich wäre, so wie jetzt halt diese Heterosexualität sozusagen das ist, was jeder als Norm akzeptiert. Wenn einfach die Norm wäre „Jeder liebt einfach den Menschen, den er liebt, unabhängig davon, welches Geschlecht der jetzt hat“. Also, wenn auch einfach alles, was mit Ehe und Geschlecht, was da noch alles dran hängt an Status, irgendwelche Machtgefüge, keine Ahnung, wenn das halt weg wäre so oder keine Rolle spielen würde. Wenn halt der Mensch im Zentrum stünde und nicht „In was für einem Körper steckt dieser Mensch?“ und „Wen begehrt er?“ so. Das wäre glaube ich für mich so eine Idealvorstellung, dass es halt um die Person geht, und nicht um das Drumherum, was halt Zufall ist so.“

» Dokumentation Fachforum 2 “Coming-out mit und ohne Kinder”

» Alle Artikel zur Fachtagung „Regenbogenfamilien bewegen! Beratung zukunftsträchtig gestalten“ (09.05.2017, Berlin)

René Mertens
LSVD-Bund-Länder-Koordination

Fotos: Caro Kadatz



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