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Gleichgeschlechtlichen Paare und Familiengründung durch Reproduktionsmedizin

Gutachten Friedrich-Ebert-StiftungNeues Gutachten der Friedrich-Ebert-Stiftung

Der vielfältigen Realität von Lebens- und Familienformen in Regenbogenfamilien auch rechtlich Rechnung zu tragen — das ist die zentrale Forderung eines Gutachtens, das Nina Dethloff, Direktorin des Institut für Deutsches, Europäisches und Internationales Familienrecht an der Universität Bonn  im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung erstellt hat. Das Gutachten “Gleichgeschlechtliche Paare und Familiengründung durch Reproduktionsmedizin”  ist unter Mitwirkung von Anja Timmermann entstanden und wurde am 8. September in einem Fachgespräch unter Beteiligung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz sowie des LSVD der Öffentlichkeit vorgestellt.

Das Gutachten konstatiert einen grundlegenden Reformbedarf des rechtlichen Rahmens der assistierten Reproduktion. Dazu analysiert es zunächst den derzeitigen Regelungsstand und leitet hieraus konkrete Vorschläge für Verbesserungen ab. Dabei wagt es einen großen Wurf, indem es neben Regelungen zur Samenspende bei lesbischen Paaren und zur Leihmutterschaft bei schwulen Paaren auch Mehrelternfamilien in den Blick nimmt, wie sie im Ausland bereits rechtliche Anerkennung gefunden haben. Wesentlicher Reformbaustein soll ein Reproduktionsmedizingesetz sein, das Methoden und Zugang der assistierten Reproduktion regelt. Gleichgeschlechtlichen Paaren ist dabei diskriminierungsfrei Zugang zu denselben fortpflanzungsmedizinischen Methoden zu gewähren wie heterosexuellen Paaren. Materiell betont das Gutachten den grundrechtlichen Schutz der Reproduktionsfreiheit, die auch eine kritische Überprüfung der Verbote von Eizellspende und Leihmutterschaft verlangt.

Lesbische Paare haben derzeit keine Möglichkeit, gemeinsam Eltern eines Kindes zu werden, das in ihre Partnerschaft hineingeboren wird. Während die gebärende Partnerin unmittelbar mit Geburt rechtlich als Elternteil anerkannt wird, ist ihre Partnerin auf das Verfahren der Stiefkindadoption verwiesen, das im Ermessen des Familiengerichts und des Jugendamtes wenige Wochen oder länger als ein Jahr dauern kann. Dies führt zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit der Mütter und des Kindes, das während des Verfahrens rechtlich nur über ein Elternteil abgesichert ist. Das Gutachten fordert daher, für lesbische Paare eine Co-Mutterschaft der Partnerin der Gebärenden zu schaffen, wie sie in zahlreichen ausländischen Rechten bereits anerkannt ist. Für gleichgeschlechtliche Paare, die mit der Geburt ihres Kindes im Ausland gemeinsam Eltern geworden sind, hat der Bundesgerichtshof unlängst festgestellt, dass ihre Elternschaft auch in Deutschland anzuerkennen ist. Der Gesetzgeber ist auch deshalb zum Handeln aufgerufen, um einer faktischen Ungleichbehandlung von im In- und Ausland geborenen Kindern vorzubeugen. Die Leihmutterschaft als Weg zu einer Elternschaft schwuler Paare ist in Deutschland bislang nicht zugelassen. In zahlreichen Fällen wählen jedoch Männer den Weg über liberalere ausländische Rechtsordnungen, die ihre Elternschaft unproblematisch anerkennen. Die Elternschaft der Wunschväter auch in Deutschland anerkennen zu lassen ist langwierig und führt oft zu einer für die Väter und ihre Kinder unzumutbaren Situation. Im Sinne des Kindeswohls fordert das Gutachten daher eine vereinfachte Anerkennung der nach ausländischem Recht bestehenden Elternschaft schwuler Paare.

Schließlich erkennt das Gutachten auch an, dass insbesondere in Regenbogenfamilien die Beschränkung auf zwei rechtliche Elternteile nicht mehr der gesellschaftlichen Realität entspricht. Neben Familienmodellen, in denen zwei Frauen oder zwei Männer die Sorge für Kinder übernehmen, werden zunehmend Modelle gelebt, in denen sich drei oder vier Elternteile die Verantwortung teilen. Dies ist insbesondere bei assistierter Reproduktion der Fall, wenn etwa der Samenspender gemeinsam mit einem lesbischen Paar für das gemeinsame Kind sorgen will. In ausländischen Rechtsordnungen werden solche Konstellationen rechtlich bereits anerkannt. Die Autorinnen des Gutachtens fordern, diese Regelungen auch in das deutsche Recht zu übernehmen und die faktisch bereits bestehende Mehrelternschaft damit auch rechtlich abzusichern. Als bestes Mittel hierzu erscheinen Vereinbarungen über Elternschaft und Elternbefugnisse, denen daher größerer Raum zu gewähren ist.

Der LSVD, der neben dem Bundesjustizministerium zu einem Kommentar des Gutachtens eingeladen war, begrüßt das Gutachten von Frau Professorin Dethloff als wichtigen Impuls zu einer längst überfälligen Reform des Reproduktions- und Abstammungsrechts im Sinne von Regenbogenfamilien. Während weitgehende Einigkeit über die grundsätzlichen Ziele einer solchen Reform besteht, bedürfen die Regelungen im Einzelfall noch einer vertieften Diskussion. Dies betrifft etwa die Frage nach dem Verhältnis von Wunschmüttern und Samenspender, solange der Gesetzgeber an der überkommenen Zweielternschaft festhält. Der LSVD wird diese und weitere Fragen in einem Workshop am 15. und 16. Oktober und daran anschließend auf dem Verbandstag im April 2017 diskutieren, um das breite Meinungsspektrum in der Mitgliedschaft zu einer gemeinsamen Position zu bündeln. Auch der 71. Deutsche Juristentag, der vom 13. bis zum 16. September in Essen getagt hat, hat sich in einer familienrechtlichen Abteilung mit der Thematik befasst. Die dort gefassten Beschlüsse  werden der rechtspolitischen Reformdebatte weiteren Schwung verleihen und mithelfen, sie in das Bundestagswahljahr 2017 zu tragen.

Sandro Wiggerich
LSVD-Bundesvorstand



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