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Die UN-Nachhaltigkeitsziele und LSBTI-Inklusion

image18_3741Dokumentation des Kapitels aus dem Bericht Deutschland und die UN-Nachhaltigkeitsagenda – noch lange nicht nachhaltig. Darin legen 40 Expertinnen und Experten dar, wie es aus zivilgesellschaftlicher Perspektive nach Verabschiedung der 2030-Agenda um deren Umsetzung in, mit und durch Deutschland steht. Die Agenda wurde im September von 193 Staaten in New York verabschiedet und gilt für alle Länder gleichermaßen – auch für Deutschland.

Im September 2015 versammelten sich die Staats- und Regierungschefs der UN-Mitgliedsstaaten in New York zum größten Gipfel der Geschichte. Sie verabschiedeten die Agenda 2030 mit 17 Zielen für die nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs). Diese Nachhaltigkeitsziele sollen in den kommenden 15 Jahren als Leitlinien der Politik dienen. Es geht nunmehr um die Frage, wie diese für alle Staaten geltenden Ziele auf der lokalen, nationalen und internationalen Ebene wirksam und ernsthaft umgesetzt werden, wie weltweit in allen Politikbereichen ein grundlegender Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit angestoßen wird. Die Agenda 2030 soll den Grundstein legen für eine gestärkte globale Partnerschaft, die gemeinsame Verantwortung für das globale Gemeinwohl soll gestärkt werden. Des Weiteren beinhaltet die Agenda 2030 einen starken Überprüfungsmechanismus mit regelmäßiger Berichterstattung und bekräftigt den Multi-Akteurs-Ansatz, der besagt, dass nachhaltige Entwicklung nur erreicht werden kann, wenn alle Akteur_innen Verantwortung übernehmen.

Maßgabe ist, dass die Nachhaltigkeitsziele für alle Menschen überall gelten und niemand zurückgelassen wird. Dieses Prinzip ist für Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans*- und intergeschlechtliche Menschen (LSBTI) besonders relevant, da sie weltweit vielfältige Formen der Diskriminierung erfahren. Zwar werden LSBTI oder sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität nicht ausdrücklich erwähnt. Doch es liegt auf der Hand, dass sie sich auf alle Menschen und Minderheiten beziehen, da es um Entwicklung für alle, Vielfalt und die Achtung der Menschenrechte als Voraussetzung für Nachhaltigkeit geht. Die SDGs benennen die Geschlechtergerechtigkeit (Ziel 5) und die Inklusion aller und Chancengleichheit für alle, also den Abbau von Ungleichheiten in den Staaten (Ziel 10). (Rechtliche) Ungleichheiten sind im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung auch in Deutschland zu beseitigen. Die Nachhaltigkeitsziele sind deshalb ein geeignetes Instrumentarium, um auch in Deutschland weiter bestehende Defizite abzubauen.

Abbau von Menschenfeindlichkeit

Menschenfeindliche Parolen und Aktionen schlagen Wunden und sind Gift für das friedliche Zusammenleben. Ein wichtiges Instrument gegen Homo- und Transphobie ist die im Koalitionsvertrag der Bundesregierung von 2013 vereinbarte und nun anstehende Erweiterung des „Nationalen Aktionsplans zur Bekämpfung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und darauf bezogene Intoleranz“ (NAP) um das Thema Homo- und Transphobie. Der NAP muss ein in die Zukunft gerichtetes Arbeitsprogramm enthalten, das Homo- und Transphobie nachhaltig eindämmt. Dazu braucht es klare Zielvereinbarungen mit verbindlichem Zeitplan und Selbstverpflichtungen der staatlichen Stellen. Ergänzung und Umsetzung des NAP müssen im engen Dialog mit der Zivilgesellschaft erfolgen. Zudem muss er kohärent sein, also auch die rechtliche Gleichstellung, die Ehe für alle sowie einen verbesserten Diskriminierungsschutz und eine freiheitliche Reform des Transsexuellenrechts beinhalten. Eine Politik, die vorgibt, gegen Homo- und Transphobie kämpfen zu wollen, aber gleiche Rechte verweigert, ist unglaubwürdig.

Hasskriminalität

Notwendig ist ein Maßnahmenpaket gegen homo- und transphobe Gewalt: dies beinhaltet eine bessere Erfassung und Sichtbarmachung solcher Straftaten, Maßnahmen zur Prävention, eine angepasste Aus- und Fortbildung bei Polizei und Justiz, Ansprechpersonen für die Belange von LSBTI in der Bundespolizei und die ausdrückliche Einbeziehung homo- und transphober Motive in die gesetzlichen Regelungen gegen Hasskriminalität. Im Strafgesetzbuch (etwa § 46 Abs. 2 StGB) müssen auch Homophobie und Transphobie klar benannt und verurteilt werden. So erfahren die Behörden mehr Sensibilisierung und die Opfer mehr Unterstützung. Eine Hierarchisierung bei den Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit darf es nicht geben.

Ehe für alle und Nichtdiskriminierung

Während immer mehr demokratische Länder die Ehe öffnen, hält sich Deutschland weiterhin mit halbherziger Flickschusterei auf. Statt alle noch bestehenden Benachteiligungen von Lebenspartnerschaften, vor allem beim gemeinsamen Adoptionsrecht, zu beseitigen, hält der Gesetzgeber weiterhin an Unterschieden zur Ehe fest. Die Ungleichbehandlung gleichgeschlechtlicher Paare ist mit einer demokratischen Grundordnung unvereinbar. Die Ehe für alle wäre auch die richtige Antwort auf homophobe Hetze.

Weitere wichtige Aktionsfelder betreffen eine umfassende Politik der Nichtdiskriminierung. 

Die römisch-katholische Kirche ist einer der größten Arbeitgeber in Deutschland. Viele Lesben und Schwule sind bei ihr angestellt. Wollen sie heiraten, müssen sie eine Kündigung befürchten. Monat für Monat wenden sich Betroffene daher an den LSVD. Der Gesetzgeber darf der römisch-katholischen Kirche nicht weiter zugestehen, sich als Arbeitgeberin außerhalb des Diskriminierungsverbots in der Verfassung und des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zu stellen.

Die EU-Grundrechtecharta fordert explizit auch den Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität und verpflichtet damit alle Mitgliedstaaten zu entsprechenden Maßnahmen. Allerdings haben nur zehn der 28 Staaten einen umfassenden Diskriminierungsschutz verankert, darunter auch Deutschland durch die Einführung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Das liegt daran, dass die bisherigen Gleichbehandlungsrichtlinien das Zivilrecht teilweise ausklammern. Deshalb wird auf EU-Ebene seit Jahren über die Schließung dieser Lücke durch eine „horizontal non-discrimination directive“ diskutiert. Eine Einführung scheiterte bislang an der Bundesregierung. Deutschland sollte als größtes Mitgliedsland klar und deutlich machen, dass in der EU niemand diskriminiert werden darf.

LSBTI und Flüchtlingspolitik

In der gegenwärtigen Flüchtlingspolitik werden menschenrechtliche Standards zurückgenommen. Die beabsichtigte Einstufung von Algerien, Marokko und Tunesien als „sichere Herkunftsstaaten“ widerspricht europäischer und deutscher Rechtsprechung. Sie verharmlost die dortige Kriminalisierung von Homosexuellen mit dem Hinweis, dass sie keine systematische Verfolgung zu fürchten brauchen, solange sie sich verstecken. Die Bundesregierung zeigt, dass sie aus der singulären Verfolgungsgeschichte von Homosexuellen in Deutschland keine Lehren gezogen hat.

Weitere SDGs, die für LSBTI relevant sind: Armut beenden (Ziel 1), Zugang zu Gesundheit (Ziel 3), Bildung und Inklusion (Ziel 4), Inklusive Gesellschaften (Ziel 16). In diesen Bereichen wurde durch die 2007 formulierten Yogyakarta-Prinzipien wertvolle Vorarbeit geleistet.

Yogyakarta-Prinzipien

Hochrangige Menschenrechtsexpert_innen aus verschiedenen Weltregionen und mit unterschiedlichem Werdegang, darunter die frühere UN-Hochkommissarin für Menschenrechte und irische Ex-Präsidentin, Mary Robinson, stellten Ende März 2007 im Genfer UN-Gebäude einen Katalog von 29 Prinzipien vor, den sie einige Monate zuvor bei einer Tagung im indonesischen Yogyakarta entwickelt hatten. Erstmalig formulierten sie darin einen globalen Standard für die Sicherung von Menschenrechten für LSBT.

Die Yogyakarta-Prinzipien sind die erste systematische Gesamtschau auf die Menschenrechtsgewährleistung für LSBT, sie formulieren Anforderungen, die die bestehenden und völkerrechtlich bindenden Menschenrechtsstandards in Bezug auf sexuelle Minderheiten durchdeklinieren. Sie setzen damit klare Maßstäbe für eine konsequente Menschenrechtspolitik auf internationaler wie nationaler Ebene. Ihr wichtigstes Anliegen ist die Bekämpfung von Gewalt und strafrechtlicher Verfolgung von Homosexualität. Das Themenspektrum umfasst aber auch den Zugang zu Bildung, das Recht auf Familiengründung, Versammlungsfreiheit, Asylrecht und vieles mehr.

Den Staaten wurden präzise Empfehlungen unterbreitet, wie menschenrechtliche Standards in Bezug auf LSBTI umzusetzen sind.

Recht auf Bildung (Prinzip 16)

Sie lauten die Empfehlungen der Yogyakarta-Prinzipien in Bezug auf das Recht auf Bildung u.a.: Die Staaten müssen alle erforderlichen gesetzgeberischen, administrativen und sonstigen Maßnahmen ergreifen, um ohne Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität den gleichberechtigten Zugang zu Bildung für Studierende, Schülerinnen und Schüler, Beschäftigte und Lehrende und deren Gleichbehandlung im Bildungssystem sicherzustellen. Zudem müssen sie sicherstellen, dass Bildungsmaßnahmen auf die bestmögliche Weiterentwicklung der Persönlichkeit, Begabungen und geistigen und körperlichen Fähigkeiten jedes und jeder Studierenden, jeder Schülerin und jeden Schülers abzielen und auf die Bedürfnisse von Studierenden und Schülerinnen und Schülern aller sexuellen Orientierungen und geschlechtlichen Identitäten eingehen. Die Lehrmethoden, Lehrpläne und Lehrmaterialien müssen dazu geeignet sein, Verständnis und Respekt unter anderem für unterschiedliche sexuelle Orientierungen und geschlechtliche Identitäten zu fördern, wobei die damit in Zusammenhang stehenden besonderen Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler bzw. Studierenden sowie ihrer Eltern und Familienangehörigen einbezogen werden. Schülerinnen und Schüler bzw. Studierende, Beschäftigte und Lehrende mit unterschiedlicher sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität müssen durch Gesetze und politische Maßnahmen vor allen Formen sozialer Ausgrenzung und Gewalt im schulischen Umfeld, einschließlich Einschüchterungen und Übergriffen, angemessen geschützt werden.

Pädagogik der Vielfalt 

Es gehört zum Bildungsauftrag der Schule, Kinder und Jugendliche auf die gesellschaftliche Vielfalt vorzubereiten und Diskriminierungen — auch in der Schule — entgegenzuwirken. Religiöse Fundamentalistinnen und Rechtspopulisten kämpfen vielerorts mit großer Verve dafür, dass Informationen über lesbisches und schwules Leben in der Schule tabuisiert werden. Sie laufen mit Hassparolen Amok gegen eine Pädagogik der Vielfalt. Dabei ist die schulische Beschäftigung mit LSBTI ein fundamentaler Bestandteil von Demokratie- und Menschenrechtsbildung. Deshalb müssen in allen Bundesländern Bildungspläne für eine Pädagogik der Vielfalt verankert werden.

Sexuelle Rechte und Entwicklungspolitik 

Die Menschenrechte von LSBTI sind kein Nischenthema. HIV-Prävention, Geschlechterverhältnisse und Geschlechtergerechtigkeit, Sexualität und sexuelle Rechte sind zentrale entwicklungspolitische Themen. Ihre Bedeutung für den politischen und wirtschaftlichen Wandel und für nachhaltige Entwicklung steht außer Frage. Andererseits bescheren Homophobie, Transphobie und Diskriminierung einer Gesellschaft immense Kosten. Zudem sind LSBTI-Rechte ein Menschenrechtsthema und mithin ein Thema das alle angeht. Die Frage, wie mit LSBTI in einer Gesellschaft umgegangen wird, ist immer ein Lackmustest für den Freiheits- und Reifegrad eines Gemeinwesens. Es versteht sich von selbst, dass es in der Frage der Achtung der Menschenrechte keine Hierarchisierungen geben darf, dass der eine nicht mehr Menschenrechte oder größeren Schutz genießt als der andere. Das Bewusstsein für dieses menschenrechtliche Prinzip setzt sich deshalb auch in der Entwicklungspolitik und in der Nachhaltigkeitsdebatte durch. Das zeigen nicht zuletzt die im September 2015 von der Weltgemeinschaft verabschiedeten Nachhaltigkeits- und Entwicklungsziele, die bis 2030 erreicht werden sollen.

Klaus Jetz
Hirschfeld-Eddy-Stiftung

 

 



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