Kategorien
Hirschfeld-Eddy-Stiftung

Mit großer Sorge”

Badr Baadou - Foto: Euromed MaghrebInterview mit Badr Baabou, Präsident und Mitbegründer von „Damj“ über die aktuelle Situation von LSBTQI in Tunesien (Interview in English):

Hirschfeld-Eddy-Stiftung (HES): Hallo Badr. Tunesien ist das einzige Land, bei dem man den Eindruck hat, dass der Ende 2010 dort mit so viel Hoffnung gestartete sogenannte Arabische Frühling für eine Verbesserung der Menschenrechtssituation gesorgt hat. Wie hat sich das auf die Lebenssituation von LSBTQI ausgewirkt?

Badr Baabou: Leider ist die Situation der LSBTQI-Community nicht gut. LSBTQI erleben nach wie vor Diskriminierung im täglichen Leben, Gewalt und willkürliche Verhaftungen. Schwul zu sein ist in Tunesien ein Verbrechen und wird nach tunesischem Recht bestraft. Nach Artikel 230 des Strafgesetzes wird Sodomie mit drei Jahren Gefängnis bestraft (Anm: unter Sodomie werden in vielen arabischen Ländern auch gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen verstanden, insbesondere zwischen Männern).

HES: Und wird diese Vorschrift auch in der Praxis angewendet?

Badr: Am 6. September 2015 kam ein junger Student wegen Artikel 230 ins Gefängnis. Der Wortlaut der  Vorschrift sagt nicht eindeutig, ob der Beschuldigte unmittelbar bei einer sexuellen Handlung erwischt werden muss oder ob es ausreicht, wenn er lediglich verdächtigt wird, Sex mit dem gleichen Geschlecht gehabt zu haben. Das juristische System in Tunesien kann dabei auf Instrumente wie den „anal test“ zurückgreifen, um die Beschuldigungen zu bestätigen. Im Fall von Marwen wurde eine solche „medizinische Untersuchung“ durchgeführt, um vorherige mehrmalige anale Penetration nachzuweisen. Marwen wurde zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Aber Marwen war nicht das erste Opfer, das wegen Artikel 230 verfolgt wurde.

Zudem wurden im Dezember 2015 sechs weitere junge Männer wegen ihrer Homosexualität zu 3 Jahren Gefängnis verurteilt. 

HES: Aber es gibt doch eine neue Verfassung, die die Menschenrechte betont. Wie passt das zusammen?

Badr: Ja, wir haben eine neue Verfassung, die seit Anfang 2014 gilt. Die Verfassung betont tatsächlich den Respekt der Menschenrechte, die Redefreiheit und den Schutz des Privatlebens. Artikel 230 steht in offensichtlichem Widerspruch mit diesen Prinzipien und den grundsätzlichen Menschenrechten. Aber die tunesische Gesellschaft verneint die Verfassungswidrigkeit dieser Vorschrift. Tunesien ist aber gerade dabei, sein erstes Verfassungsgericht einzurichten und Damj möchte diese Gelegenheit nutzen um, auch unter Einbeziehung des Parlaments, diese repressive Vorschrift abzuschaffen.

HES: Das klingt doch hoffnungsvoll.

Badr: Schon. Aber es ist noch ein weiter Weg, bis sich unsere Gesellschaft öffnet. Leider gab es im April eine Welle von anti-LSBTI Kommentaren und Gewalt in Tunesien. Es begann mit homophoben Kommentaren eines Schauspielers im tunesischen Fernsehen. Darauf folgten homophobe Texte in den sozialen Medien, teilweise mit Gewaltandrohung. Ladenbesitzer und Taxifahrer haben Schilder angebracht, auf denen sie erklären, LSBT nicht als Kunden haben zu wollen.

HES: Der Plan der Bundesregierung, Tunesien als sicheres Herkunftsland einzustufen, passt nicht zu deinen Beschreibungen. Für LSBTI ist Tunesien wohl alles andere als ein sicheres Land.

Badr: Damj sieht die geplante Aufnahme von  Tunesien in die Liste der sicheren Herkunftsländer mit sehr großer Sorge. Diese Entscheidung wird eine dramatischen Auswirkung auf LSBT Asylsuchende aus Tunesien haben. Wir können den deutschen Institutionen nur sagen, dass Tunesien kein sicherer Platz für LSBTIQ ist. Die „Community“ sieht sich Stigmatisierung und Diskriminierung überall im täglichen Leben ausgesetzt.

HES: Vielen Dank, Badr. Ich wünsche Dir und Deiner Organisation viel Erfolg bei Eurer Arbeit.

Das Interview wurde aus dem Englischen übersetzt. Guido Schäfer von der Hirschfeld-Eddy-Stiftung hat das Interview am 10. Mai 2016 geführt.

Damj, l’Association Tunisienne pour la Justice et L‘egalite” wurde in 2010 in Tunesien gegründet. Damj bedeutet „Einbeziehung“. Der gemeinnützige und eingetragene Verein hat das Ziel, die Kultur der universellen Menschenrechte in Tunesien zu verbreiten. Dazu gehört insbesondere der Wunsch, die Grundsätze der Gleichheit der Bürger Tunesiens zu verankern und der Kampf gegen alle Arten von Stigmatisierung und Diskriminierung von Minderheiten. Der Fokus liegt darauf, die Lebenssituation von LSBTQI in Tunesien zu verbessern. Neben der Lobbyarbeit bietet Damj die Möglichkeit zum Networking und Beratung. 



Teile diesen Beitrag: