Kategorien
Verband

Die geplanten Neuregelungen sind verfassungs- und menschenrechtswidrig

LSVD_manfred_bruns_01Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD: Entwurf eines Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren- BT-Drs. 18/7538 v. 16.02.2016

Sehr geehrte Damen und Herren,

unabhängig davon, ob die im Gesetzentwurf vorgesehenen Maßnahmen überhaupt eine sinnvolle Entlastung der Behörden bewirken können, darf eine Beschleunigung von Asylverfahren nicht unter Verstoß gegen das Grundgesetz und die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) geschehen. Der Zweck heiligt nicht die Mittel.

Die Regelungen des Gesetzentwurfs begegnen insgesamt erheblichen rechtsstaatlichen Bedenken. Im Folgenden konzentriert sich unsere Stellungnahme auf zwei Bereiche, die für Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen, die aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität aus ihrem Herkunftsland geflohen sind, von besonderer Bedeutung sind.

1. § 5 Abs. 5 AsylG‑E Besondere Aufnahmeeinrichtungen (BAE) und § 30 a AsylG‑E: Asylrechtskundige Beratung von Asylbewerbern im beschleunigten Verfahren am Tag der Zustellung der behördlichen Entscheidung

In den geplanten besonderen Aufnahmeeinrichtungen sollen bestimmte Asylsuchende gem. § 30a Abs.1 AsylG‑E untergebracht werden und einem besonderen beschleunigten Asylverfahren unterliegen. Darunter sollen unter anderen Antragstellende aus so genannten „sicheren Herkunftsstaaten“ fallen. In einigen der gesetzlich zu so genannten „sicheren Herkunftsstaaten“ deklarierten Ländern sind homosexuelle Beziehungen strafrechtlich verboten. In weiteren dieser Länder gibt es gesellschaftliche, oft von staatlichen Stellen geduldete oder gar unterstützte
Unterdrückung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen (LSBTI), die sich in der Summe zur asylrelevanten
Verfolgung verdichten kann.

Wenn der Antrag von Asylbewerbern als offensichtlich unbegründet oder unzulässig abgelehnt wird, können sie gegen diesen Bescheid Klage vor dem Verwaltungsgericht erheben. Die Klage hat keine aufschiebende Wirkung (§ 75 Abs. 1 AsylG). Deshalb müssen die Asylbewerber gleichzeitig beim Verwaltungsgericht einen Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage stellen. Die Klage und der Eilantrag müssen binnen einer Woche ab Zustellung des ablehnenden Bescheids beim Verwaltungsgericht eingereicht werden (§ 74 Abs. 1 AsylG).

Da im Eilantragsverfahren keine Anhörung stattfindet, muss der Eilantrag schriftlich begründet werden. Es muss deutlich gemacht, warum „ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit“ des ablehnenden Bescheids bestehen. Wenn der Eilantrag abgelehnt wird, kann die Abschiebung trotz des weiterhin laufenden Klageverfahrens vollzogen werden.

Die ausführliche und sachgemäße Begründung der Klage und des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung wird durch den Umstand erschwert, dass das beschleunigte Verfahren vom Bundesamt innerhalb einer Woche ab Stellung des Asylantrags abgeschlossen werden muss. Die Situation der Asylbewerber im beschleunigten Verfahren ähnelt deshalb der Situation von Flüchtlingen im Flughafenverfahren. Dafür hat das Bundesverfassungsgericht auf Folgendes hingewiesen (BVerfGE 94, 166):

S. 201: „Wird das Verfahren zur Prüfung des Asylantrags gemäß § 18a AsylVfG innerhalb kürzester Zeit nach der Ankunft des Asylbewerbers auf einem deutschen Flughafen im Transitbereich — noch vor der Entscheidung über die Einreise (vgl. § 18a Abs. 6 Nr. 2 AsylVfG) — durchgeführt, so erlangen Sprachunkundigkeit, Fremdheit sowie physische und psychische Beanspruchung des Asylantragstellers durch die Reise und — möglicherweise — auch durch Verfolgung und Flucht ein besonderes Gewicht. Unter solchen Bedingungen kann der Asylsuchende sonst gegebene Möglichkeiten, sich zu orientieren und Rechtsrat einzuholen, allenfalls sehr eingeschränkt nutzen. Insofern unterscheiden sich die Verhältnisse im Flughafenverfahren wesentlich von denjenigen im regulären Verfahren.“

Da die Asylbewerber erst wenige Tage in der besonderen Aufnahmeeinrichtung verbracht haben, wenn ihnen der ablehnende Bescheid eröffnet wird, fordert deshalb das Bundesverfassungsgericht:

S. 206: „Der nicht anwaltlich vertretene Antragsteller muss ferner durch organisatorische Maßnahmen Gelegenheit erhalten, — soweit erforderlich unter Einsatz eines Sprachmittlers — kostenlos asylrechtskundige Beratung in Anspruch zu nehmen, um die Erfolgsaussichten einer etwaigen Beschreitung des Rechtsweges beurteilen zu können. Diese Beratung kann durch jede dafür geeignete, von den Entscheidungsträgern unabhängige, im Flughafenbereich verfügbare und in Asylrechtsfragen kundige Person oder Stelle erfolgen. Es ist Sache des Gesetzgebers und der mit der Durchführung des Asylverfahrensgesetzes betrauten Behörden zu entscheiden, auf welchem Wege — insbesondere durch welche dafür geeigneten Personen) oder Stellen — diese Beratung erfolgen soll. Die Beratung kann auch Hilfe bei der Formulierung des beim Gericht zu stellenden Antrags und seiner Begründung und bei der Gewinnung eines zur Vertretung bereiten Rechtsanwalts umfassen. Angesichts der Kürze der im Gesetz festgelegten Fristen für Antragstellung und gerichtliche Entscheidung im Flughafenverfahren (vgl. dazu näher unten e) erscheint es erforderlich, dass die Beratung bereits am Tage der Zustellung der behördlichen Entscheidungen einsetzt und auch an Wochenenden angeboten wird.“

Das ist für homosexuelle und transsexuelle Asylsuchende in den geplanten besonderen Aufnahmeeinrichtungen besonders wichtig. So ist es vielen lesbischen und schwulen Asylsuchenden zunächst (noch) nicht möglich, offen über ihre sexuelle Orientierung und entsprechende Verfolgung zu berichten, wenn Homosexualität in ihrer Herkunftsgesellschaft tabuisiert ist und ihre bisherige Überlebensstrategie war, ihre sexuelle Orientierung gegenüber Dritten geheim zu halten. Ein Outing vor fremden Behördenmitarbeitern stellt für sie eine immense Barriere dar. Schnellverfahren ohne Zugang zu fachkundiger Beratung und ausreichendem Rechtsschutz bedeuten für Menschen aus dem LSBTI-Personenkreis, dass sie faktisch von einer fairen Prüfung ihrer Asylgründe ausgeschlossen werden.

Es muss deshalb unbedingt zumindest sichergestellt werden, dass die Asylsuchenden im Zeitpunkt der Zustellung von ablehnenden Entscheidungen asylrechtskundigen Rat in Anspruch nehmen können.

In dem Gesetzentwurf fehlen solche Regelungen. Das ist mit der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG nicht vereinbar.

In § 30a AsylG‑E sollte deshalb zumindest die allgemeine Regelung aufgenommen werden, dass die asylrechtskundige Beratung der Asylbewerber im Zeitpunkt der Zustellung von ablehnenden Bescheiden gewährleistet sein muss. Die nähere Ausführung kann dem Verordnungsgeber überlassen werden.

Die Verpflichtung zum Aufenthalt in besonderen Aufnahmeeinrichtungen und die Regelung, dass bereits ein Verstoß gegen die Residenzpflicht zum Ausschluss vom Asylverfahren führen kann, können eine zusätzliche Bedrohung für Asylbewerberinnen und Asylbewerber aus dem LSBTI-Personenkreis darstellen. Sie werden verpflichtend in Aufnahmeeinrichtungen mit Menschen aus ihren Herkunftsländern untergebracht. Auch wenn diese Menschen vor Unterdrückung, vor undemokratischen Zuständen oder Krieg in ihrer Heimat geflohen sind, ist doch anzunehmen, dass viele die gesellschaftlichen Prägungen ihrer Herkunftsländer mit im kulturellen Gepäck haben, z.B. hinsichtlich Geschlechterrollen oder Einstellungen zu unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und geschlechtlichen Identitäten.

Das kann zur Folge haben, dass LSBTI in den Aufnahmeeinrichtungen Unterdrückungs- und Ausgrenzungsmechanismen bis hin zur Gewalt, wie in ihrer Heimat ausgesetzt sind. Entsprechende Fälle sind dokumentiert. Das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren enthält keinerlei Regelungen, wie solchen Gefährdungen begegnet werden soll.

2. § 60 Abs. 7 und § 60a Abs. 2c und 2d AufenthG‑E
Das Abschiebungsverbot bei drohender Gefahr für Leib und Leben folgt unmittelbar aus Art. 2 Abs. 1 und 2, 1 Abs. 1 GG und aus Art. 3 EMRK.

So stellt z.B. die Abschiebung eines an AIDS erkrankten Ausländers in ein Land, in dem die medizinische und soziale Versorgung solcher Personen unzureichend ist, nach der feststehenden Rechtsprechung des EGMR eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK dar, wenn der Vollzug der Abschiebung dazu führen würde, dass die dem Erkrankten verbliebene Lebensqualität erheblich verschlechtert und seine Lebenserwartung verkürzt würde.

Zur Konkretisierung dieses grund- und menschenrechtlich zwingend gebotenen Schutzes hat sich im Laufe der Jahre eine detaillierte Rechtsprechung entwickelt. Wenn nun versucht wird, diese Rechtsprechung durch neue einfachrechtliche gesetzliche Bestimmungen zu umgehen, verstößt das gegen unser Grundgesetz und die europäische Menschenrechtskonvention.

Die Regelannahme, eine ausreichende medizinische Versorgung sei auch gegeben, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaates gewährleistet sei, ist verfassungswidrig, da es auf die tatsächliche Zugangsmöglichkeit im jeweiligen Einzelfall ankommt.

Der Schutz der körperlichen Unversehrtheit ist von Verfassungswegen effektiv zu gewährleisten. Dies verbietet dem Gesetzgeber Verfahrensregeln, die dieser Gewährleistung entgegenstehen. Daher kann der Schutz nicht davon abhängig gemacht werden, dass eine bestimmte Art der ärztlichen Bescheinigung vorgelegt wird. Ein Fehlen einer solchen Bescheinigung lässt eine lebensbedrohliche Abschiebung nicht verfassungsgemäß werden. Es bleibt auch hier beim Amtsermittlungsgrundsatz.

Die Einschränkung auf das Beweismittel „ärztliche Bescheinigung” lässt sich ebenfalls nicht rechtfertigen. Die bei psychischen Erkrankungen gem. § 1 Abs. 3 Psychotherapeutengesetz (PsychThG) bestehende Qualifikation von approbierten Psychotherapeuten lässt sich ebenso wenig unterschlagen wie im konkreten Einzelfall durch anderweitig qualifizierte Personen diagnostizierte Erkrankungen.

Die Präklusion für das Versäumnis, eine ärztliche Bescheinigung unverzüglich vorzulegen, ist rechtlich nicht denkbar, da eine festgestellte konkrete Gefahr für Leib und Leben stets zu beachten ist, gleich zu welchem Zeitpunkt sie zu Tage tritt.

Auch eine Präklusion im Falle der Nichtwahrnehmung eines Untersuchungstermins würde sich regelmäßig als verfassungswidrig erweisen, da es allein auf das tatsächliche Vorliegen einer Gefahr für Leib und Leben ankommt. Auch würde die Regelung zudem zu einer Verkomplizierung der Verfahren führen, nämlich der – bei psychischen Erkrankungen auch nur wieder durch entsprechende Gutachten zu klärenden Frage, ob der Betroffene einen zureichenden Grund für sein Nicht-Erscheinen hatte oder nicht.

Das Gesetz versucht eine Gesundheitsvermutung zu statuieren, die sich im Weiteren zu einer Gesundheitsfiktion steigert. Aufgrund der in § 60a Abs. 2d AufenthG‑E vorgesehenen Präklusionsvorschriften wird die Ausländerbehörde im Einzelfall dazu gezwungen, den Betroffenen sehenden Auges in den Tod zu abschieben.

Die geplanten Neuregelungen sind deshalb verfassungs- und menschenrechtswidrig.

Manfred Bruns

LSVD-Bundesvorstand, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof a.D.

»Homosexuellen-Verfolgerstaaten sind keine „sicheren Herkunftsländer“

»Arabischsprachiger Rechtsratgeber für lesbische, schwule und transgeschlechtliche Flüchtlinge

 

 

 



Teile diesen Beitrag: