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Mit Bibelworten ausrotten

Eine Katastrophen-Nachlese von Uta Ranke-Heinemann

Uta Ranke-Heinemann bei der Demonstration zum Papstbesuch am 22.9.2011 in BerlinSehr geehrte Gläubige und Ungläubige, sehr geehrte Theisten und Atheisten, liebe Homosexuelle und Heterosexuelle!

Das Christentum hat, sobald es zur Macht kam, versucht, die Homosexuellen mit Bibelworten, z.B. 3. Mose 20, auszurotten. 3. Mose 20 heißt es: “Wenn ein Mann bei einem Mann liegt wie man bei einer Frau liegt, sollen sie getötet werden.” Der christliche Kaiser Theodosius der Große bestimmte 390, daß alle Homosexuellen verbrannt werden sollten (Codex Theodosianus 9,7,6). Dies Gesetz führte sofort zu dem größten Massaker der Antike: dem Blutbad von Thessalonike 390. Anlaß war ein Tumult, bei dem der oberste Militärbefehlshaber Butherich von einer aufgebrachten Menge ermordet wurde, als er einen berühmten homosexuellen Wagenlenker verhaften ließ. Kurz darauf ließ Theodosius 7000 ahnungslose Kinder, Frauen, Männer, Greise unter einem Vorwand in den Zirkus locken und dort abschlachten. Die Ermordung der 7000 wurde von der Kirche (Bischof Ambrosius) dem Kaiser vorgeworfen – die Ausrottung der Homosexuellen wurde von der Kirche nie beanstandet, weil Bibelwort.

Über 1000 Jahre später heißt es in der Gerichtsordnung Kaiser Karl V. 1532: “Wenn ein Mann mit einem Mann, eine Frau mit einer Frau Unkeusches treibt, soll man sie DER ALLGEMEINEN GEWOHNHEIT NACH mit dem Feuer vom Leben zum Tod richten” (Artikel 116).

Montaigne berichtet 1581 in seinem Italienischen Reisebericht: In Rom habe er von einer seltsamen portugiesischen
Homosexuellenbruderschaft gehört, die in der römischen Kirche Saint Jean an der Porta Latina Eheschließungen zwischen jeweils zwei Männern vorgenommen habe und zwar mit den gleichen Zeremonien und dem gleichen Hochzeitsevangelium wie bei heterosexuellen Paaren. Anschließend an die kirchliche Trauung habe das Paar eine
gemeinsame Wohnung bezogen, es kommunizierte zu Ostern gemeinsam, alles genau wie bei heterosexuellen Paaren. Montaigne schreibt abschließend: 8 oder 9 dieser Bruderschaft seien inzwischen (auf Veranlassung der Inquisition) verbrannt worden.

5 Jahre später hat Papst Sixtus V. im Juni 1586 einen Priester und einen Knaben verbrennen lassen. Den Knaben gleich
mitzuverbrennen ist noch krimineller als 3. Mose 20 schon kriminell genug ist, da nach jüdischem Recht minderjährige Knaben unter 13 als strafunfähig galten.

Am 5. Juni 1750 wurden zwei Herren auf dem Platz de Grève in Paris lebendig verbrannt. Die berühmte Enzyklopädie der Aufklärung von Diderot und d’Alembert, deren 1. Band ein Jahr später, nämlich 1751 erschien, berichtet in dem Artikel “Sodomie” (= Homosexualität) von dieser Verbrennung und schreibt zustimmend: “Das göttliche Gesetz fordert die Todesstrafe für die, die sich mit diesem Verbrechen besudeln, siehe 3. Mose 20. Und diese Strafe wurde auch in unsere
Gesetzgebung aufgenommen.” Der Artikel distanziert sich in keiner Weise von der Verbrennung auf dem Platz de Grève, beeilt sich vielmehr, hinzuzufügen, daß die gleiche Strafe auch für Frauen und Minderjährige gelte.

Im Neuen Weltkatechismus von 1992 Nr. 2357 (verfaßt vom ehemaligen Kardinal Ratzinger) belehrt er uns, es sei besser, die eigenen Töchter zur Vergewaltigung preiszugeben als homosexuelle Akte zuzulassen. Er stützt – in seinen eigenen Worten: “stützt”! — sich dabei auf die Geschichte 1. Mose 19, wo Lot, der Neffe Abrahams, zu den Homosexuellen, die sein Haus in Sodom belagern, sagt (das ist die Geschichte vom Untergang von Sodom und Gomorrha), Lot also sagt: “Seht, ich habe zwei Töchter, die noch nichts vom Manne wissen, die will ich euch herausgeben, macht mit ihnen, was euch gefällt, nur diesen Männern (Lots männlichen Gästen) tut nichts.” Die beiden Mädchen waren zwischen 12 und 13 Jahre alt.

Ich muß noch etwas anfügen. Vor kurzem hatte ich eine Meinungsverschiedenheit mit einer protestantischen Kollegin bei einer Veranstaltung an einer deutschen Universität. Ein Student fragte: “Ist in der Bibel das Neue Testament genau so homosexuellenfeindlich wie das Alte Testament?” Sie sagte: “Oh nein, Paulus schreibt in seinem 1. Korintherbrief 6,9: ‘Die Knabenschänder werden das Reich Gottes nicht erben.’ ”Und dann verstieg sie sich zu der Behauptung: “Das Neue Testament ist nur gegen Knabenschändung, das Neue Testament ist nicht gegen Homosexualität.”

Ich sagte: “Das stimmt nicht: Das Wort ‘Knabenschänder’ ist eine falsche Übersetzung des griechischen Wortes, das Paulus benutzt, nämlich: arsenokoites. Arsen heißt Mann, und koites heißt Beischläfer, es heißt also: Mann-Beischläfer, männlicher Beischläfer. Aber in allen mir bekannten deutschen Übersetzungen des Neuen Testaments, protestantischen sowie katholischen, ebenso in allen Standard-Wörterbüchern der Theologen und der Altphilologen wird das Wort arsenokoites falsch übersetzt. Für die Deutschen ist Homosexualität gleich Knabenschändung.

Die Ermordung der Homosexuellen ist ein schweres Verbrechen der Weltgeschichte. Sie beruht auf Bibelworten, auf die sich Katholiken, Protestanten, Moslems berufen und findet auch heute noch statt. Ich habe vor einigen Jahren im katholischen Sender EWTN von mindestens zwei solcher Fälle in USA seitens bibeltreuer Protestanten gehört. Und in einigen muslimischen Ländern werden auch heute noch Homosexuelle aufgehängt oder lebendig begraben. Und insofern ist Papst Benedikt fortschrittlich, denn Verbrennung der Homosexuellen seitens der katholischen Kirche finden heute nicht mehr statt, die letzte mir bekannte war 1750 in Paris auf dem Place de Grève.

Ich möchte zum Schluß Sokrates zitieren, mit seinen Worten in Platons Phaidon 68AB :

Viele, denen Geliebte und Frauen und Kinder starben, gingen
bereitwillig in den Tod, denn sie waren von der Hoffnung
getrieben, dass sie die, nach denen sie so sehr sich sehnten,
nach ihrem Tod wiederfinden und mit ihnen zusammensein
werden.”

Im griechischen Urtext steht statt “Geliebte”: paidikoí. Gemeint ist der geliebte homosexuelle Lebenspartner. Der größte Unterschied zwischen antikem Griechentum und Christentum betrifft die Einschätzung der Homosexualität.

Aber die Kirche schätzt die Homosexuellen anders ein als Sokrates. Die Sexualfeindlichkeit der Kirche hat noch weitere dramatische Auswirkungen. Sie führt zu widerwärtigen sexuellen Verirrungen. Die Verbrechen, die von zwangsentsexualisierten Priestern an Kindern und Jugendlichen geschahen und noch geschehen, dies unaussprechliche
Leid der wehrlosen Betroffenen schreit zum Himmel. Und Papst Benedikt ist der größte Vertuscher dieser Verbrechen.

 

Quelle für diese Katastrophen-Nachlese: Eunuchen für das Himmelreich, Katholische Kirche und
Sexualität, 25. erweiterte Auflage, HeyneTaschenbuch 2008 und Nein und Amen. Mein Abschied vom traditionellen Christentum, HeyneTaschenbuch 2011. 

 

Uta Ranke-Heinemann,

Rede auf Demonstration zum Papstbesuch am 22. September 2011 in Berlin

 



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