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The Abominable Crime

The Abominable Crime - Podiumsdiskussion Köln September 2015 © LSVD BundesverbandFilm-Screening und Gespräch mit Aktivist_innen aus Jamaika

Der Film “The Abominable Crime” ist beeindruckend und ergreifend. Er zeigt eine zutiefst homophobe Gesellschaft, den Kampf für Befreiung und gegen Diskriminierung von Lesben, Schwulen und Trans* Menschen und schließlich auch die Flucht von der jamaikanischen Karibikinsel ins sichere Kanada und Europa. Im Verlauf der Handlung gibt es zahlreiche Parallelen zum Film „Call me Kuchu“, der das schwierige Leben und die Verfolgungssituation von Lesben und Schwulen in Uganda thematisiert:

Das Ausmaß der Homophobie, die fanatisch-homophoben, evangelikalen Prediger_innen, die Morde an David Kato und Brian Williamson, der Kampf gegen ein zutiefst homophobes Strafrecht — beide Filme portraitieren über Jahre hinweg seine Protagonist_innen, die in diesem Umfeld leben.

 “The Abominable Crime” zeigt anschaulich, wie prekär und violent die Lebenssituation von LGBT auf der karibischen Insel sein kann. Die Geschichte der aus Jamaika stammende junge Mutter Simone Edwards, die heute in den Niederlanden lebt, und des LGBTI-Aktivisten Maurice, der nach Kanada floh, sind nur zwei von vielen Beispielen, die zeigen, dass Menschen, die nicht der heterosexuellen Mehrheitsnorm entsprechen, täglich von Gewalt und Tod bedroht sind.

Simone hat es nach Europa geschafft und nach einem zermürbenden Kampf mit Ämtern und Behörden konnte sie auch ihre Tochter in die Niederlande holen.

„Uns geht es gut“, sagte sie, „Wir haben eine Wohnung, ich arbeite als Krankenschwester, meine Tochter besucht die Schule.“The Abominable Crime - Podiumsdiskussion Köln September 2015 © LSVD Bundesverband

Klar, sie vermisst ihre Heimat, aber nicht die homophoben Menschen in Jamaika.

Ich bin nie wieder nach Jamaika zurückgekehrt. Ich will keine Rache, nur meine Ruhe und das Beste für meine Tochter.“

Dane Lewis ist seit 2008 Geschäftsführer des Jamaican Forum for Lesbians, All-Sexuals and Gays (J‑Flag). Ich frage ihn, wie man als Aktivist_in in einem solch homophoben Umfeld überhaupt arbeiten kann. Muss man nicht ständig um sein Leben fürchten?

Ja, genau. Wir sind vorsichtig. Am Anfang trat ich nie unter meinem richtigen Namen auf. Zu viele Freunde wurden ermordet oder sind ins Exil gegangen. Nirgendwo haben wir die Hausadresse unseres Büros veröffentlicht und nach jedem TV-Auftritt fahre ich vom Sender sofort nach Hause.“

Wie die Kontakte zur Regierung, zum Gesetzgeber und in die Zivilgesellschaft sind, frage ich. Und ob nicht bald das Gesetz, welches noch aus der Kolonialzeit stammt und gleichgeschlechtliche Liebe kriminalisiert, fallen werde?

Wir haben gute Kontakte zum Justizminister und zum Bürgermeister von Kingston. Beide unterstützen unsere Anliegen und Veranstaltungen. Die Entkriminalisierung ist aber nicht prioritär. Es muss auch um Einstellungsveränderungen in der Bevölkerung gehen. Eine Gesetzesänderung muss vorbereitet sein, die Menschen müssen aufgeklärt werden, viele Politiker_innen müssen sensibilisiert werden. Vordringlich sind der Schutz unserer Privatsphäre und ein Ende der Gewalttaten auf den Straßen. Die Regierung traut sich nicht an das Strafrecht ran, weile die große Mehrheit in Jamaika dahintersteht, die Politik fürchtet ganz einfach Wählerstimmen einzubüßen.“

Neben Homophobie und Transphobie in Jamaika, thematisiert der Film auch die Flucht und das schwierige Anerkennungsverfahren um Asyl. Ich frage Simone nach ihren Erfahrungen im Asylverfahren und warum es zwei Jahre dauerte, bis sie ihre Tochter nachkommen lassen konnte.

„Fünf Monate hat es gedauert, bis ich anerkannt wurde und Papiere bekam. Ich war die erste lesbische Frau, der in Holland Asyl gewährt wurde. Zunächst lebte ich in einer Sammelunterkunft, wo Menschen aus vielen Ländern untergebracht waren. Dann bekam ich eine Wohnung in der Stadt und konnte mich frei bewegen. Plötzlich gab es Probleme mit der Familienzusammenführung. Im Konsulat in Havanna (in Kingston gibt es keines) wollten sie nicht anerkennen, dass meine Tochter meine leibliche Tochter ist. Das ging hin und her, über Monate. Dann lehnte das Konsulat ab, und ich bestand auf einem DNA-Test. Erst dann kam Bewegung in die Sache, und nach zwei Jahren konnte meine Tochter zu  mir nach  Holland kommen.“

Seit 2004, als der Gründer von J‑Flag, Brian Williamso in Kingston brutal ermordet wurde, engagiert sich der LSVD zu Jamaika und protestiert beispielsweise gegen Auftritte Dane Lewis (J-Flag) mit Klaus Jetz (LSVD) - © LSVD Bundesverbandhomophober Dancehall-Interpreten wie Buju Banton, Sizzla, Elephant Man oder zuletzt gegen den geplanten Auftritt von Capleton auf dem Chiemsee Summer 2015. Die Proteste  in den USA und Europa zeigten bald Wirkung — Konzerte wurden abgesagt, Interpreten ausgeladen und Visa verweigert.
Ich will wissen, wie J‑Flag zu dieser Problematik  steht. Dane sagt, dass diese Solidarität sehr hilfreich und wichtig ist.

 „Die Musiker_innen verdienen ihr Geld eigentlich nur im Ausland. Umso wichtiger ist der Protest dort. Uns waren in der Vergangenheit immer die Hände gebunden, aber seit einigen Jahren führen wir Gespräche mit dem Management einiger Musiker_innen darüber, dass die diskriminierenden Texte nicht weiter aufgeführt werden dürfen. Deshalb ist es wichtig, dass ihr Kontakt zu uns haltet. Gute, erfolgversprechende Gespräche dürfen nicht durch Kampagnen im Ausland gestört werden. Klar, es gibt immer noch Bösewichte, die die Melodie bekannter Titel wie „Boom boom, bye.bye“ oder „Chi Chi Man“ anstimmen; das Publikum singt dann die Mordaufrufe. Unsere Arbeit und die Proteste im Ausland tragen aber langsam Früchte und es hat sich in dieser Frage viel getan.“

Zu Schluss weist Dane auf die Homepage von J‑FLAG hin, auf der sich aktuelle Informationen zu Situation in Jamaika und zur Arbeit von J‑FLAG finden lassen – darunter auch eine Dokumentation eines Projekt des Larry Chang Center, wo verfolgte und mittellose LGBT-Jugendliche Unterschlupf gewährt wird: www.larrychangcenter.org

Klaus Jetz
Geschäftsführer des LSVD

» Elephant Man in München abgesagt

» Webseite der jamaikanischen Organisation J‑Flag

» Webseite zum Film “The Abominable Crime”



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