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Out in Alltag und Öffentlichkeit

Das Gebot des Schweigens ist der Kern der Homophobie

Lesben, die sich zeigen sind wichtig. Sie können Vorbilder darin sein, der vorurteilsbeladenen Stereotypisierung die Vielfalt des Lebens entgegenzusetzen und den Weg bereiten für einen selbstverständlichen Umgang. Jede Lesbe, die out ist, zeigt „Es gibt uns.“ Das ist keine Selbstverständlichkeit, denn Lesben werden gewöhnlich verschwiegen. Euch gibt es nicht, Euch darf es nicht geben, Ihr seid gar nicht da: das Gebot des Schweigens ist der Kern der Homophobie. Deshalb ermuntern wir uns und andere immer wieder zum Bekenntnis.

Viele Frauen sehen das gar nicht als Problem an. Sie seien out, sagen sie mir und wenn ich genauer frage, wird deutlich, wie selten sie sich als Lesben zeigen, wie oft sie schweigen, wie sehr die Angst, sich zu zeigen auch erfolgreiche und selbstbewusste Frauen einschränkt: Lehrerinnen, die sich nicht vor den Schülern und schon gar nicht vor den Eltern outen, Referentinnen, die sich „kein Schild umhängen“ wollen und es niemals allen Kollegen sagen würden, Ärztinnen, die es nur im kleinen Kreis besprechen. Führungskräfte, die meinen, das gehöre nicht hierher oder Selbständige, die Angst haben, Kundinnen zu verlieren. Welche kennt schon eine, die es immer zeigt: im Urlaub, im Sprachkurs, auf der Strasse, in der Bahn oder im Kaufhaus? In Presse, Film, Medien, im Internet überall soll es Lesben geben, da sind sich die meisten einig. Aber zugleich gibt es immer mehr, die sich vorsehen: Bitte keine Namen im Internet, wenn die Sache was mit dem L zu tun hat. Bitte keine Interviews, keine Fotos. Das sei schließlich Privatsache. Stimmt das? Wie vertragen sich der Wunsch nach Sichtbarkeit von lesbischen Frauen mit dem vermeintlich privaten Charakter des Lesbisch-Seins?

Homosexualität ist Privatsache, diese Forderung wird gerne von denen vorgebracht, die am liebsten nichts mit uns zu tun haben wollen. So meinte ein von der CDU/CSU als Gutachter benannter Rechtsprofessor im Rechtsausschuss des Bundestages, er sei gegen die Ergänzung des Grundgesetzes um das Merkmal der sexuellen Identität, denn diese sei Privatsache, das ginge den Staat sowieso nichts an. Und die katholische Kirche verlangt von ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, dass von einer etwaigen gleichgeschlechtlichen Lebensweise zumindest nichts nach außen dringt. Immer wieder rufen uns Mitfrauen an, die sich verpartnern wollen, sich jedoch nicht trauen, weil die Kirche ihr Arbeitgeber ist. Wer fordert, dass als Privatsache zu behandeln, meint meistens, bitte lasst uns weiterhin darüber schweigen.

Solange Lesben sich nicht outen, werden sie der Hetero-Mehrheit zugerechnet. Schließlich gilt grundsätzlich die Vermutung, Heterosexualität sei die Norm. Das zeigt sich schon an den scheinbar harmlosen Fragen nach der Familie, nach dem Erlebnis am Wochenende usw. Und zugleich sind wir überall und permanent mit der öffentlichen und nicht selten dramatischen Aufführung der Heterosexualität konfrontiert. In diesem Land moderieren Lesben Talkshows, sind Politikerinnen, Schauspielerinnen und Sängerinnen. Im kommenden Jahr wird eine lesbische Frau Verfassungsrichterin sein. Und immer mehr Lesben im LSVD nennen ihre Namen und zeigen ihre Gesichter. All diese öffentlich sichtbaren Lesben halten den Anderen eine Tür auf. Sie zeigen, wie sehr es sich lohnt, Steine aus der Mauer des Schweigens zu nehmen.

Uta Kehr, LSVD-Bundesvorstand

 



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