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Was den Unfall auch verursacht hat — der Schaden ist jedenfalls immens”

Zülfukar Çetin, Stiftung Wissenschaft und Politik (c) LSVD / KadatzBericht aus dem Forum „Mehrfachdiskriminierung“ des Kongresses „Respekt statt Ressentiment“

Mehrfachdiskriminierungen werden selbst innerhalb von engagierten, demokratischen Kreisen bisweilen übersehen oder wenig bearbeitet: Wenn etwa bei Diskursen über Homosexualität vor allem an weiße, schwule Männer gedacht wird, fallen die Probleme von schwarzen, lesbischen Frauen unter den Tisch. Dies war ein Thema auf dem Kongress „Respekt statt Ressentiments – Strategien gegen die neue Welle von Homo- und Transphobie“ in Berlin.

Was sind Mehrfachdiskriminierungen?

Jeder Mensch gehört nicht nur zu einer, sondern zu vielen gesellschaftlichen Gruppen. Manche Menschen gehören so auch zu verschiedenen Gruppen, die Diskriminierung erfahren. Wissenschaftler Zülfukar Çetin von der Stiftung Wissenschaft und Politik beschreibt das Problem der Mehrfachdiskriminierung in dem Bild: Als schwarze Frauen gegen General Motors wegen Diskriminierung klagten, wurde ihnen gesagt: Es ist kein Rassismus — es gibt ja schwarze Männer in der Firma! Als sie dann beharrten, dann sei es eine sexistische Diskriminierung, hieß es: Nein, es ist kein Sexismus, denn es gibt weiße Frauen in der Firma! Wie im Beispiel würden in der Gesellschaft oft Leerstellen übersehen, weil es dem Klischeebild nicht entspricht — wie etwa muslimische Homosexuelle. Er ermutigte, sich selbst zu fragen, wen wir in Diskursen vergessen — etwa Queers of Colour — und plädierte für den Begriff der “mehrdimensionalen Diskriminierung”, weil der besser als die “Mehrfachdiskriminierung” ausdrücke, dass Personen gemeint sind, die aufgrund verschiedener Verortungen diskriminiert werden. „Stellen Sie sich vier Straßen vor – eine steht für Homosexualität, eine für die ethnische Herkunft, eine für das Alter und eine für die soziale Schicht – und wenn es dann in der Mitte der Kreuzung einen Unfall gibt, kann man vielleicht nicht genau sagen, was genau daran schuld war – die Folgen für die betroffene Person sind aber immens“, sagt Çetin: „Wenn eine schwarze Frau mit 3 Kindern ohne Mann, ohne Arbeit, die krank ist, eine Mietwohnung nicht bekommt, weiß man ohne Begründung natürlich nicht genau, woran genau es gelegen hat – aber ziemlich sicher an einem oder mehreren der genannten Faktoren.“ Hinzu komme, dass in der Regel diskriminierende Stellen oder Personen selbst von sich weisen, diskriminierend zu handeln – und es ist ihnen dann schwer nachzuweisen, aber trotzdem ist die Diskriminierung da.

Zum Beispiel bei Flüchtlingen

Lieselotte Mahler (Psychiatrische Universitätsklinik der Charité) (c) LSVD / KadatzEine Gruppe, die oft und besonders betroffen ist von Mehrfachdiskriminierungen, sind homosexuelle und queere Flüchtlinge, stellte Lieselotte Mahler von der Psychiatrischen Universitätsklinik der Charité dar, die auch Leiterin des Referat „Sexuelle Orientierung in Psychiatrie und Psychotherapie“ beim Psychiatrie-Dachverband DGPPN ist. Obwohl Homo- und Transsexualität in vielen Ländern nicht nur zu Anfeindungen und Gewalt führt, sondern auch unter drastischen Strafen steht, verschweigen viele queere Flüchtlinge ihre Homo- oder Transsexualität, selbst wenn sie der Fluchtgrund waren, weil der “Beweisprozess” in Asylverfahren bis vor kurzem entwürdigend und willkürlich war — willkürlich ist er allerdings auch nach der Reform des entsprechenden Paragraphen durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) noch. Zugleich werden die queeren Flüchtlinge in Flüchtlingswohnheimen oft weiter diskriminiert.

Bis 1992 wurde Homosexualität von der WHO (World Health Organisation) als Krankheit definiert , also als etwas, das therapiert werden kann. Mehr noch: Religionen sehen Homosexualität als Sünde, Gesetze als Verbrechen – in Deutschland bis 1968/69 bzw. 1994, in vielen anderen Ländern, etwa in Ländern Afrikas, im arabischen Raum, im asiatischen Raum und in Indien bis heute. Menschen werden aufgrund ihrer sexuellen Orientierung strafrechtlich verfolgt oder bekommen zumindest keinen Schutz, etwa bei Übergriffen.

Dass viele Homosexuelle trotzdem ihre Verfolgung oft nicht als Fluchtgrund deutlich machen, liegt an der Bearbeitungspraxis im Asylverfahren, die lange abenteuerlich war und es bis heute teilweise ist.

Bis 2012 etwa galt Homosexualität auch im deutschen Asylrecht nicht als unveränderliches Merkmal. Das heißt: Von homosexuellen Flüchtlingen wurde verlangt, dass sie doch auf die Ausübung ihrer Sexualität verzichten sollten. Dafür gibt es sogar einen Begriff: Das „Diskretionsprinzip“. Außerdem bekamen Flüchtlinge zu hören, ihr Asylantrag würde abgelehnt, denn man könne doch nicht die „fortschrittliche“ Einstellung in Europa gegenüber Homosexuellen in andere Länder übertragen.

Ob jemand als homosexuell (genug) angesehen wird, um ihm oder ihre eine Verfolgung zu glauben, liegt im Auge des jeweiligen Sachbearbeiters oder der jeweiligen Sachbearbeiterin des Asylantrags. Bei manchen Homosexuellen wurden Asylanträge abgelehnt, weil sie die lokale Schwulenbar nicht kannten; vielen lesbischen Frauen wird ihre sexuelle Orientierung nicht geglaubt, weil sie (zwangs-) verheiratet waren oder sind und Kinder haben; anderen wurde zwar die Homosexualität geglaubt, aber die Verfolgung nicht; anderen wurde bescheinigt, sie seien ja nicht „zwanghaft“ schwul und könnten sich wohl zurückhalten. Das „Diskretionsprinzip“ wurde erst 2012 als gängige Praxis abgeschafft. Trotzdem obliegt es weiterhin den Stereotypen und Vorurteilen der Sachbearbeiter_innen, ob jemand als „homosexuell genug“ angesehen wird. Viele Flüchtlinge wünschen sich deshalb psychiatrische Gutachten, die ihre Homosexualität bestätigen – was aber wiederum die Re-Pathologisierung der Homosexualität zur Folge hätte. Nach dem letzten Urteil des Europäischen Gerichtshofes ist es nun nicht mehr zulässig, von homosexuellen Flüchtlingen „Beweise“ wie intime Fotos und Videos zu fordern – allein die Aussage des Asylbewerbers oder der Asylbewerberin soll genug sein, was aber die Bewertung der Glaubwürdigkeit noch subjektiver macht. Deshalb, so Lieselotte Mahler, sind Fortbildungen für mehr Kompetenz für die Sachbearbeiter_innen dringend von Nöten.

Dr. Jennifer Petzen (Lesbenberatung Berlin) (c) LSVD / KadatzJennifer Petzen von der Lesbenberatung e.V. sprach darüber, wie strukturelle Diskriminierungen Menschen von Bildung, aus dem Gesundheitssystem, vom Arbeitsmarkt fernhalten, ihnen und der Öffentlichkeit zugleich aber suggerieren, dies seien keine gesellschaftlichen, sondern persönliche Probleme. “Diskriminierung ist nicht nur Hass — sie kann auch ganz freundlich sein”, sagt sie mit Blick auf wohlmeinende Initiativen oder Äußerungen gegen eine Diskriminierung, die aber auf anderer Ebene abwerten — wie Kommentare wie: “Ja, in Deiner Kultur ist es bestimmt besonders schwierig, lesbisch zu sein, die ist ja eher rückständig.” In Bezug auf Flüchtlinge fordert sie, die Menschen nicht zu entmachten, indem man über sie redet, sondern mit ihnen zu sprechen, und fordert, statt einer Willkommenskultur für Flüchtlinge eine schlichte demokratische Kultur, die sagt: Du hast ein Recht, hier zu sein und zu bleiben. Petzen beschreibt als ein Ziel ihrer Arbeit, für homosexuelle Flüchtlinge das Attribut „besonders schutzwürdig“ zu erlangen – das gilt bisher nur für Frauen mit Kindern und chronisch Erkrankte. Dann wäre es auch leichter möglich, bessere und sicherere Unterkünftige für LSBT-Flüchtlinge durchzusetzen. Doch neben besserer Unterbringung, mehr Geld für Übersetzer, mehr Behandlungsmöglichkeiten für traumatisierte Flüchtlinge hat sie auch immer das große Ganze im Blick: „Die restriktive Asylpolitik Europas sorgt nicht nur für viele Tote, sondern auch dafür, dass manche Gruppen von Flüchtlingen bleiben dürfen, andere aber nicht. Das hat mit Gleichwertigkeit nichts zu tun!“

Simone Rafael
Amadeu-Antonio-Stiftung

 

Artikel zuerst veröffentlicht bei Netz gegen Nazis

Kongress: “Respekt statt Ressentiment. Strategien gegen die neue Welle von Homo– und Transphobie”

Weitere Berichte über den Kongress im LSVD-bLOG

 



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